Pet Shop Boys vertonen Stummfilmklassiker

Wir sind schon seltsam




We were never being boring’ – an diesem obersten Leitsatz, den die Pet Shop Boys vor einem Jahrzehnt per Single-Hit ausgerufen hatten, hat sich bis heute

nichts geändert. Die neueste Überraschung des exzentrischen britischen Pop-Duos: Die Neuvertonung des russischen Stummfilmklassikers ‘Panzerkreuzer

Potemkin’ von Sergej Eisenstein. Den Soundtrack zu dem 70-minütigen Revolutionsdrama von 1905 führen die beiden Londoner heute Abend im Stadtpark live

auf – gemeinsam mit den Dresdner Symphonikern.



‘Wir haben während unserer gesamten Karriere immer vorgehabt, etwas Anderes und Interessantes zu machen’, sagt Sänger Neil Tennant (51). ‘Das ist manchmal

ein Kampf, weil es ja viel einfacher ist, bloß das zu tun, was alle anderen tun und immer am neuesten Trend entlangzusurfen. Aber wer weiß, ob wir dann

noch hier säßen.’



Höchstwahrscheinlich nicht. ‘Ich bin überzeugt’, so Tennant, ‘dass wir heute noch stärker aus der Masse hervorstechen als zu Beginn unserer Karriere

Mitte der 80er. Manchmal denke ich sogar, wir sind schon reichlich seltsam.’



Das lobenswerte Konzept der konstanten Veränderung ihrer Arbeit und der damit einhergehenden Überraschung von Medien und Fans behalten Tennant und

sein Kollege Chris Lowe (46) auch beim Soundtrack zu ‘Panzerkreuzer Potemkin’ bei. Mit elitärer Hochkultur hat das Projekt aber nichts zu tun. ‘So ,artsy’

ist das alles keineswegs’, beruhigt Tennant. ‘Die Musik ist melodisch, und es gibt auch Elemente von Dance Music, für die wir ja berühmt sind. Das ist

alles typisch Pet Shop Boys, eine Mischung aus elektronischer und orchestraler Musik.’



Der legendäre, unter anderem von Schostakowitsch vertonte Film über den Matrosenaufstand auf der ‘Potemkin’ und die für hedonistischen Pop á la

‘Westend Girls’ oder ‘Go West’ berühmten Briten – eine gewagte Kombination? Neil Tennant sieht das anders: ‘Wir betrachten ,Potemkin’ mit Respekt.

Dennoch haben wir bewusst eine naive, fast respektlose Herangehensweise gewählt.’



Vor zwei Jahren wurden sie vom London Institute of Contemporary Art gefragt, ob sie Lust auf diese Arbeit hätten, im vergangenen Herbst dann führten

sie die Musik zum Film erstmals live auf dem Londoner Trafalgar Square auf. ‘Wir empfanden diesen Auftrag als große Ehre’, erinnert sich Tennant.

‘Trafalgar ist der traditionelle Protestplatz in London. Die Anti-Irakkriegs-Demos oder die Anti-Thatcher-Proteste fanden dort statt.’



Um Protest ging es Eisenstein, um Protest geht es auch den Pet Shop Boys: ‘Der Film richtet sich gegen Unterdrückung – und das ist ein Anliegen, das

Chris und ich schon immer stark unterstützt haben’, erklärt Tennant. ‘Er wirkt optimal in jeglichem undemokratischen Umfeld. Wir würden mit ,Panzerkreuzer

Potemkin’ gerne nach Nordkorea und in den Iran reisen. Mit der chinesischen Regierung verhandeln wir bereits. Die sperrt sich aber noch dagegen, uns auf

den ,Platz des Himmlischen Friedens’ zu lassen, wo vor 16 Jahren das Massaker stattfand.’

Taken from: Hamburger Morgenpost
Interviewer: Steffen Rüth