Pet Shop Boys und Panzerkreuzer

Rhythmus, Rhythmus, nichts als reinen Rhythmus’


hat sich Sergej Eisenstein als Filmmusik für sein


stummes Meisterwerk ‘Panzerkreuzer Potemkin’ (1925) gewünscht,


den wohl größten Klassiker des frühen sowjetischen Propagandakinos,


den er als seinen ersten Tonfilm verstanden wissen wollte.


Druckvolle Beats und großformatige politische Botschaften auf


einen zeitgemäßen Nenner bringen?




Nichts leichter als das, fanden die früher mitunter sehr chiffreverliebten und jetzt leicht graumelierten Pet Shop Boys (‘Go West’, ‘My October Symphony’,

‘A Red Letter Day’), als sie diesen Job annahmen, dem sich immerhin schon eine Größe wie Schostakowitsch gestellt hatte. Ihre ganz wilden Jahre sind

mittlerweile vorbei – Zeit und gute Gelegenheit also, aus der ironischen Partykracher- in die seriöser anmutende Konzeptkünstler-Liga aufzusteigen.


Mit den Dresdner Symphonikern gastierten Neil Tennant und Chris Lowe im Hamburger Stadtpark, und die Kombination aus den flackernden Schwarzweißbildern

über die revolutionären Matrosen und den motorisch wummernden Discopop entpuppte sich als dialektisch reizvolle Synthese aus Kopplung, Kommentar und

Verfremdung.


Einiges plänkelte und puckerte zunächst ein wenig unentschlossen vor sich hin, klang wie eine Demo-Version von Doldingers ‘Boot’-Soundtrack. Doch wirklich

spannend wurde es, je mehr sich die Geschichte des Matrosenaufstands, aufgekratzt durch House-Beats, der berühmten Treppenszene von Odessa näherte –

während Eisenstein auf der Leinwand einen virtuos geschnittenen Dreiklang aus Massenmord, individueller Verzweiflung und kollektivem Pathos inszeniert,

konterkariert Tennant diese monumentale Montage aus dem Halbdunkel unter der Leinwand mit einer rührseligen Ballade, verwandelt die politische Propaganda

so in utopische, unverbrämt religiöse Romantik.


Hinter 1000 blutbefleckten Stufen eine bessere Welt, sehr frei nach Novalis, verspricht die Falsett-Stimme, während das Kosaken-Ballett im Synchronschritt

hinrichtet. ‘Heaven is possible, after all.’ So gegen den Pop-Mainstream zu denken, das muß man sich als Pop-Star erst mal trauen.

Taken from: Hamburger Abendblatt
Interviewer: JoMi