Pet Shop Boys komponierten Musik für den ‘Panzerkreuzer’

Stadtpark: Am kommenden Montag ist die


Popband mit den Dresdner Sinfonikern zu hören.


Eisensteins Stummfilmklassiker ‘Panzerkreuzer


Potemkin’ hat jetzt neue Töne.




Der Filmregisseur Sergej Eisenstein wünschte sich, daß jede Generation ihre eigene Musik zu seinem Stummfilm ‘Panzerkreuzer Potemkin’ komponieren solle.

Die Pet Shop Boys kamen diesem Wunsch nach und haben zusammen mit den Dresdner Sinfonikern eine Version für das 21. Jahrhundert geschrieben. Am 5.

September wird Eisensteins Stummfilm im Stadtpark gezeigt, und die Pet Shop Boys und die Dresdner Sinfoniker werden live dazu die Filmmusik spielen.

Jürgen Ziemer sprach mit den Pet Shop Boys in London über das multimediale Ereignis.



ABENDBLATT: Warum haben die Pet Shop Boys zu Eisensteins ‘Panzerkreuzer Potemkin’ einen neuen Soundtrack gemacht?



NEIL TENNANT: Phillip Dodd, der Direktor des Institute of Contemporary Arts, bekam vom Londoner Bürgermeister das Angebot, im Sommer einen Event auf

dem Trafalgar Square zu veranstalten. Er hatte die Idee zu ‘Panzerkreuzer Potemkin’, weil es ein Film über Protest ist, und der Trafalger Square ist

in London der traditionelle Austragungsort von Demonstrationen. Ein Protest-Platz, wenn man so will. Außerdem hatte er die Idee, bei dieser Gelegenheit

dem Film eine neue musikalische Untermalung zu geben, und uns gefragt, ob wir das machen wollen. Wir haben uns entschieden, bevor wir überhaupt den Film

gesehen haben.



ABENDBLATT: Noch nie gesehen?



TENNANT: Ich hab’ ihn einmal gesehen, aber Chris nicht. Was uns daran gereizt hat, war die Herausforderung, 73 Minuten Musik zu schreiben.



ABENDBLATT: Eisenstein hat einmal gesagt, er wünsche sich jedes Jahrzehnt einen neuen Soundtrack für seinen Film. Welche Aspekte wollten Sie mit Ihrer

Musik betonen?



TENNANT: Wenn man dem Film ein frisches Musikstück gibt, wirkt auch der Film wieder frisch, als hätte man ihn neu komponiert. Das Hauptziel war,

zeitgenössische Musik zu addieren. Aber eigentlich ist es ohnehin ein Film, der sehr frisch wirkt. Wie er gecastet ist, gefilmt und editiert, das sieht

alles sehr zeitgenössisch aus. Auch der Stil der Schauspieler ist nicht diese altmodisch exaltierte Schauspielerei, die man in Stummfilmen erwartet und

die heute ziemlich überholt wirkt. Alles ist sehr realistisch.



ABENDBLATT: Den Soundtrack haben Sie zusammen mit dem Komponisten Thorsten Rasch und den Dresdner Sinfonikern eingespielt. Angeblich mochten Sie deren

Neu-Interpretation der Texte von Rammstein auf der CD ‘Mein Herz brennt’?



TENNANT: Nachdem ich das Album gehört hatte, war ich davon sehr angetan, ‘Mein Herz brennt’ ist kraftvoll und wirklich sehr schön. Auch harmonisch

schön. Als Chris und ich dann anfingen, die Musik für ‘Panzerkreuzer Potemkin’ zu schreiben, wurde uns sehr schnell klar, daß wir dafür ein

Streichorchester wollen und mit dem Komponisten Thorsten Rasch Kontakt aufnehmen sollten. Mit ihm starteten wir den langen Prozeß der Orchester-Arrangements

unserer Stücke. Das war recht knifflig, denn ursprünglich tendierten wir zu einer eher avantgardistischen Musik. Aber was Sven dann letztlich daraus

gemacht hat, ist wirklich unglaublich: diese Tiefe und Schönheit. Auch die Art, wie echte Streicher mit synthetischen Streichern zusammenspielen, die

Verbindung von Elektronik mit einem klassischen Orchester. Das war sehr interessant.



ABENDBLATT: Die gigantischen Schiffe in Eisensteins Film strahlen etwas dunkel Bedrohliches aus, fast wie Raumschiffe aus ‘Star Wars’…



TENNANT: Sie können sicher sein, daß George Lucas diesen Film sehr genau studiert hat. ‘Panzerkreuzer Potemkin’ ist ja fast jedes Mal unter den zehn

besten aller Zeiten. Er erzählt seine Story glasklar, einfach durch den Schnitt.



ABENDBLATT: Es gibt Szenen, vor allem die mit den schiebenden und pumpenden Maschinen, die zusammen mit Ihrer Musik wirken wie ein Musikvideo.



TENNANT: Eisenstein wünschte sich, daß man Musik mit Maschinen herstellen könnte, die dann den Film untermalen sollte. Wir haben versucht, dieses

Gefühl des Pumpens zu vermitteln, wie die Maschinen des Schiffs immer schneller werden.



ABENDBLATT: Ihre Auftritte in Deutschland im September werden einen anderen Charakter haben als die Show am Trafalgar Square. Gibt es neue Elemente?



TENNANT: Am Trafalgar Square präsentierten wir die Geschichte des Protests am Trafalgar Square. Wir werden auch in Deutschland etwas machen. Man kann

nicht einfach kalt mit dem Film anfangen, sondern sollte noch etwas Aufregendes dazugeben.



ABENDBLATT: Gibt es einen besonderen Grund, daß Deutschland zuerst in den Genuß dieser außergewöhnlichen Aufführungen kommt?



TENNANT: Es gab sehr großes Medieninteresse in Deutschland. In Ihrem Land weiß man einen popkulturellen Event wie diesen offenbar sehr zu schätzen.

Aber wir haben auch mit Ausnahme einer zynischen Kritik im ‘Guardian’ in den britischen Zeitungen phantastische Kritiken bekommen. Es ist ja auch

außergewöhnlich, daß 25 000 Menschen zusammen einen Stummfilm schauen.



ABENDBLATT: Doch wohl eher, um die Pet Shop Boys zu erleben?



TENNANT: Klar, ganz vorne standen schon einige Fans. Aber man konnte ja sehen, daß die Leute nach oben auf die Leinwand schauen. Uns und das Orchester

konnte man ja gar nicht richtig sehen. Wir wollten den Fokus auf den Film richten.



ABENDBLATT: Es wird also kein echtes Konzert sein?



TENNANT: Wir werden ganz sicher nicht die größten Hits der Pet Shop Boys darbieten. Der Auftritt dauert eine Stunde und 20 Minuten. Ich denke, das

funktioniert live ganz hervorragend. Wenn die Sonne scheint und es warm ist, dann gehen alle gerne raus und sehen sich mal etwas anderes an. Dies

ist ein ungewöhnlicher Event.



ABENDBLATT: Gibt es noch andere Filme, zu denen Sie gerne die Musik machen würden?



CHRIS LOWE: Nicht wirklich, das war jetzt eine einmalige Sache. Ich freue mich immer über seltsame Anfragen, wenn es nicht gerade die Bitte ist: Könnten

Sie uns einen Klingelton schreiben?



ABENDBLATT: Sie arbeiten zur Zeit mit Trevor Horn an einem ‘echten’ Pet-Shop-Boys-Album. Wollen Sie schon etwas darüber verraten?



TENNANT: Wir haben die ersten fünf Monate dieses Jahres in unserem Studio mit Songschreiben zugebracht. Wir haben jetzt 16 neue Lieder und nehmen neun

davon im Moment mit Trevor Horn auf. Als wir mit dem Schreiben anfingen, dachten wir an ein Electro-Pop-Album. Eher minimalistisch. Doch inzwischen

klingen die Songs recht typisch, sehr opulent und episch. Es ist wohl epischer Electro-Pop.



ABENDBLATT: Sie haben mehr als 30 Hits geschrieben. Sind Sie die Popmusik nicht manchmal leid?



TENNANT: Unser nächstes Album ist sehr ambitioniert, aber dennoch Pop. Es ist und war schon immer eine aufregende Sache, ins Studio zu gehen und es

einige Zeit später mit einem neuen Song wieder zu verlassen.

Taken from: Hamburger Abendblatt
Interviewer: Jürgen Ziemer