Pet Shop Boys im Panzerkreuzer

Seit über 20 Jahren brillieren die Pet Shop Boys


mit unwiderstehlichen Synthie-Pop-Hits. Christian Bos


sprach mit Sänger Neil Tennant über das bislang


ambitionierteste Projekt der Band: eine Filmmusik


zu Sergej Eisensteins ‘Panzerkreuzer Potemkin.




Als ich meiner Mutter erzählte, dass ich Neil Tennant interviewe, wusste sie nicht, wer die Pet Shop Boys sind. Aber sie kannte ‘Go West“ aus

dem Fußballstadion.



NEIL TENNANT: Ja, das singen sie hier auch. Ich verfolge Fußball nicht, aber Chris [Lowe, die andere Hälfte der Pet Shop Boys] ist großer

Arsenal-Fan. ‘Go West“ wurde als Stadionhymne zuerst in Italien gesungen und wanderte dann über Deutschland nach England. Für uns kam es

aus dem Nichts. So was kann man nicht planen.



Die Pet Shop Boys vertonen indes weitab vom Stadion das Stummfilm-Meisterwerk ‘Panzerkreuzer Potemkin“. Wie kam es dazu?


TENNANT: Vor zwei Jahren erzählte mir der Direktor des Institute of Contemporary Art, dass sie die Möglichkeit hätten, etwas auf dem Trafalgar

Square zu veranstalten. Früher war der Platz oft Schauplatz großer politischer Demonstrationen. Weshalb der ICA-Direktor an ‘Panzerkreuzer

Potemkin“ dachte. Die Pet Shop Boys sollten den Film neu vertonen. Wir schlugen dann vor, das Ganze als kostenloses Konzert mit Live-Musik

zu veranstalten.



Hätten Sie sich ‘Panzerkreuzer Potemkin“ ausgesucht?


TENNANT: Nein, ich dachte mir, was für eine seltsame Idee. Das war schon eine Herausforderung. Wir guckten uns einige Male den Film an, ohne Ton.

Dann setzten wir uns hin und schrieben die Musik. Das dauerte drei Monate.



Schließlich arbeiteten Sie mit dem deutschen Komponisten Torsten Rasch zusammen.


TENNANT: Wir wollten unbedingt Streicher. Ich hörte mir zu der Zeit die CD ‘Mein Herz brennt“ von Torsten Rasch an. Das ist ein Liederzyklus nach

Texten von Rammstein, gespielt von den Dresdner Sinfonikern. Normalerweise arbeiten wir mit Pop-Arrangeuren. Wir wollten diesmal aber mit einem

Komponisten kooperieren, um herauszufinden, ob wir die Musik interessanter, mit komplexeren Harmonien, gestalten können.



Waren Sie nicht nervös vor dem Schritt in die Hochkultur?


TENNANT: Nein, aber ich hatte mit mehr Kritik gerechnet. Doch wir wurden sehr positiv besprochen. Und das Publikum fand es großartig. Die Pet

Shop Boys haben immer versucht, Dinge zu tun, die eher ungewöhnlich sind. Viele fanden es scheinbar völlig normal, dass wir so was machen.



In den 80ern gab es dieses Projekt von Giorgio Moroder, bei dem er Fritz Langs ‘Metropolis“ neu vertonte.


TENNANT (lacht): Ja, das haben mir schon viele erzählt. Ich habe es nie gesehen. Das war, glaube ich, rein elektronisch.



Und zum großen Teil auf Songs aufgebaut…


TENNANT: In unserer Filmmusik gibt es zwei vollständige Songs und drei oder vier kleinere Song-Bruchstücke. Ich singe also auch.



Die Pet Shop Boys haben immer den Trend bei Videos gesetzt. Wäre Filmmusik eine neue Option?


TENNANT: Das ICA hat uns ja wegen unserer engen Verbindung zu bewegten Bildern angefragt. Wir haben bei unseren Shows immer mit Künstlern und

Filmemachern gearbeitet. Derek Jarman hat bei unserer ersten Tournee Regie geführt. Aber Filmmusik? Das Tolle an einem Stummfilm-Soundtrack ist

ja: Du bist das Einzige, was zu hören ist. Schreibst du den Soundtrack zu einem Tonfilm, musst du dich unterordnen. Leute reden oder schießen

über deine Musik. Wir wären höchstens an einer echten Zusammenarbeit interessiert, so wie bei Alfred Hitchcock mit Bernhard Herrmann oder Sergio

Leone mit Ennio Morricone.



Aber die große Zeit der Musikvideos ist definitiv vorbei.


TENNANT: Es ist keine sehr kreative Zeit für Videos. Du hast nur noch die Wahl zwischen HipHop-Videos, in denen es um Geld geht, die möglichst

verschwenderisch aussehen sollen – und Rock-Videos, die das raue Rock ‘ n ‘ Roll-Erlebnis vermitteln wollen. Was halt nicht sehr interessant ist.



Die Pet Shop Boys sah man im Fernsehen zuletzt; wenn auch nur kurz, beim Live 8-Konzert in Moskau.


TENNANT: Auf dem Roten Platz zu spielen war sehr aufregend. Moskau kam erst in letzter Minute dazu. Wir wussten, dass nicht viel davon im Fernsehen

übertragen würde. Aber das gefiel mir. Meine größte Sorge bei Ereignissen wie Live 8 ist, dass die Künstler das nur machen, um flächendeckend im

Fernsehen zu erscheinen. Und wir wollten das nicht als Karriere-Schritt nehmen.

Taken from: Kölner Stadtanzeiger
Interviewer: Christian Bos