Neues Album – neues Layout

Die Pet Shop Boys sind das Phänomen, das als selbsterfüllende Pop-Prophezeiung salonfähig wurde. Man kann von ihnen halten, was man will – was sie machen, wird (fast) immer ein Hit. Auf jeden Fall sind sie bekannt wie bunte Hunde, wie die Plattenfirma richtig betont. Karla Kolumna sagt, warum.



Zwei Keyboards, zwei Mikros, Neil Tennant und Chris Lowe: Das macht die Pet Shop Boys komplett. Drumherum

wirbeln dennoch jede Menge Sequenzer, verrückte Leute und eine schillernde Aura voll artifiziellem Nichtsein

und provokativ aufsehenerregender Vitalität. Die mannigfaltig enthusiastische Wandelbarkeit ihrer Optik und das

Beharren auf der einmal festgelegten, unverwechselbaren musikalischen Identität, die bisher noch keine Plagiatoren

gefunden hat, machten die Pet Shop Boys zu wahrhaft unabhängigen Zeitgeistern, seit sie 1985 im zweiten Anlauf mit

‘West End Girls’ die Hitparaden der Welt stürmten. Jedermann weiß sie mit Songs wie ‘Go West’ in Verbindung zu

bringen, sei es ‘Always on my mind’ als Hommage an Elvis oder ‘What have I done to deserve this.’ Man muß gar

nicht viele Titel aufzählen, einige Takte und der Tonfall von Neil Tennants Gesang weisen den Weg.



Selbstpreisgabe mittels Versteckspiel




Auch mit ihrem sechsten Album ‘Nightlife’ (Parlophone) haben Tennant und Lowe die Musik nicht neu erfunden, das

ist schon zu lange her, aber sie haben dafür umso mehr sich selbst neu erfunden. Die erste Album-Auskopplung

‘I don’t know what you want, but I can’t give it anymore’ hat nicht nur den schon angesprochenen

Spontan-Wiedererkennungseffekt, sondern auch den längsten Songtitel in der Geschichte der Pet Shop Boys. Aber

Neil Tennant winkt ab: ‘Ich denke, ,Where the streets have no name, I can’t take my eyes off you` ist länger.’

‘Der längste aber den ich kenne ist: ‘Why did you believe me when I told you that I love you when you know

I’ve been a liar all my life’, sagt Chris Lowe. So viel dazu. Auch die One-Two-Men-Show hat ein neues Gesicht:

Eine Mischung aus Limahl und Phantomas in einer romantischen Phase. Orange Haare, diese weiten Hosen, die an

Culottes erinnern. ‘Ian Mc Neal, der auch schon Underworld designed hat, kam mit dieser übertriebenen Art von

Fashion, die auf dem Look japanischer Samurai-Krieger beruht. Die schwarzen Balken der Augenbrauen und das weiß

geschminkte Gesicht haben im traditionellen japanischen Kabuki-Theater eine ganz besondere Bedeutung.’ Man

distanziert sich, will nicht in den Charakter der Songs übergehen. Die theatralische Wandelbarkeit wird auf

die Spitze getrieben, weitere optische Unwirklichkeiten folgen. ‘Und am Ende merkt man, dass jeder irgendwie

so aussieht’, so Tennant. Selbstpreisgabe mittels Versteckspiel. Pop-Vampire ohne Liebe Das Konzept ist einfach:

‘Die Leute haben tagsüber immer nur eine Perspektive. Die Nacht verändert alles, ist dunkel und gefährlich, kann

Dinge besser oder schlimmer erscheinen lassen. Und: Alles kann passieren. in der Nacht.’, sagt Chris Lowe.



Die Alltäglichkeit skurriler Geschichten und Geheimnisse in den Beziehungen der Leute



Da ist z. B. dieser countrieske, schwirrend näselnde Song ‘You only tell me you love me when you’re drunk’ – dazu

muß man nicht mehr sagen – oder ‘Vampires’, ‘ein sehr tendenziös filmischer Track, ein durchgeknalltes Lied für

einen Film in Manhattanscher Nacht.’ Menschen, die sich gegenseitig aus irgendwelchen Gründen ausbeuten. Die Pet

Shop Boys zählen sich auch dazu. Unpassende Freunde, die einem das Leben versauen. Männer, die nicht schlafen

können und merken, dass sie verliebt sind. ‘Our hands are shaking, my mind is aching, feeling deep inside, you’ve been

standing there, sending signals everytime our eyes collide.’ ‘Radiophonic’ ist eine Perle auf dem Album, produziert

von Weirdo-Rollo (Faithless) und trägt den Rollo-Effekt: ein sich in sich steigernder Pizzicato-Effekt.


Darüber hinaus haben sie in ihrer eigenen nuschelnden, höflich symphatischen Art noch einige possenhafte

Geschichten zu erzählen. ‘Ich war nachts mit unserem Produzenten David Morales in Clubs unterwegs und er

zeigte mir New York in einer Limousine, und wenn man mit ihm reden will, muß man telefonieren.’ Ja, er

hängt immer am Telefon, ist immer vollkommen überdreht und trägt nur Versace, ja es muß Versace sein. Doch das

ist noch nicht alles: ‘Als wir mit ihm im Studio waren, mußte er unterbrechen, um für zwei Tage nach Mailand

zu fliegen und bei Donatella Versaces Party für Madonna aufzulegen.’ Solche Typen lieben Tennant und Lowe.

Kylie Minogue, mit der Neil Tenannt auf ‘In Denial’ ein Duett singt, gehört ab jetzt auch dazu. ‘Sie ist groß.

Sie ist klein, aber dafür großartig. Uns sie liebt es ‘Queens and Fairies and Muscle Maries’ zu singen.’ Mit

‘In Denial’ schließt sich der Zyklus: ‘Mein Leben ist absurd, auf den Kopf gestellt. Wie ein Vampir arbeite ich

nachts und schlafe den ganzen Tag. Ich liebe mich überhaupt nicht.’

Taken from:
Interviewer: Manfred Hallschmid