Neue Tonkulisse für die ‘Potemkin’






Der Stummfilmklassiker ‘Panzerkreuzer Potemkin’ und die Pet Shop Boys – geht das zusammen? Auch Neil Tennant (51) war zunächst nicht von der Idee überzeugt,

Sergej Eisensteins Werk getreu dessen Devise ‘Rhythmus, Rhythmus und vor allem reiner Rhythmus’ neu zu vertonen.



‘Als die Idee zur Neuvertonung des Films erstmals von Philip Dodd, Leiter des Institute of Contemporary Art hier in London, an uns herangetragen wurde, war

unser Interesse nicht sehr groß’, sagt der Sänger. ‘Je näher wir unser aber mit dem Thema befassten, desto faszinierender erschien uns die Möglichkeit,

die Kernaussage des Films mittels neuer Musik für die Jetztzeit zu interpretieren.’



Es gibt sicher näher liegende Kandidaten für die Neuvertonung des Films, den sowohl die Bolschewisten wie auch die Nazis sinnentfremdet für Propagandazwecke

nutzten, als das englische Elektro-Pop-Duo Tennant und Chris Lowe. Aber gemeinsam mit dem deutschen Komponisten Torsten Rasch und dem Dresdner Produzenten

und Musiker Sven Helbig sowie den Dresdner Sinfonikern gelang den Pet Shop Boys eine äußerst vitale, moderne Neuinterpretation von Eisensteins Meisterwerk

aus dem Jahr 1925. Eisenstein hatte sich alle zehn Jahre eine neue, musikalische Interpretation von ‘Panzerkreuzer Potemkin’ gewünscht.



Nicht zuletzt die Technologie 80 Jahre nach der Erstvorführung mit der Musik des deutschen Komponisten Edmund Meisel und Schostakowitschs fünfter Sinfonie

erfüllt sicher den Rhythmus-Wunsch Regisseurs. ‘In meinen Augen zeigt der Film ein sehr romantisches Ideal der Revolution und des Widerstands gegen jegliche

Form von Repression. Trotz aller Versuche von den Marxisten bis hin zu den Nazis, Eisensteins Film für ihre seltsamen Ideologien zu nutzen, steht er in

meinen Augen für Solidarität und Befreiung von tyrannischer Obrigkeit’, sagt der 46-jährige Keyboarder Lowe über die Kernaussage des Films. Tennant

differenziert: ‘Für mich war relativ schnell klar, dass es sich bei Eisensteins Film um einen bolschewistischen Propagandastreifen handelt. Aber Chris hat

recht, Wörter wie Kameradschaft, Bruder, Zusammenhalt, Widerstand und die deutlich hervorgehobene Macht des Protests ziehen sich wie ein roter Faden durch

den Film.’ Nicht zuletzt deshalb habe er für die berühmte Odessa-Treppenszene mit ‘After All’ den ersten Antikriegssong der Pet Shop Boys verfasst.



Dem mit ordentlich Patina behafteten Film setzen Tennant und Lowe modernste Sample-Technik und die an der zeitgenössischen Klassik geübten Streicher der

Dresdner Sinfoniker entgegen. Den Party-Pop der Pet Shop Boys mit einem Klassiker wie ‘Panzerkreuzer Potemkin’, das für seine revolutionäre Editier-Technik

immer noch gerühmt wird, in Verbindung zu bringen, mag zunächst gewagt erscheinen. Aber Tennant zufolge ist es genau dieses Spannungsfeld, das zwischen dem

Film und der neuen Musik ein neues Element kreiert hat.



‘Es ist erstaunlich, wie aktuell ein Film mit Kratzern und allerlei, aus heutiger Sicht offensichtlichen Mängeln wirken kann, wenn man ihn mit hochmodernen

Klanggebilden versieht.’ Zwar sei die Potemkin-Musik vom Film und seiner revolutionären Schnitttechnik beeinflusst. ‘Aber wir haben eine drittes Element

mit der Musik kreiert, das sich zwischen uns und dem Film befindet. Deswegen kann man die Musik auch genießen, wenn man den Film, für die sie geschrieben

wurde, gar nicht kennt’, sagt Neil Tennant.

Taken from: Kölnische Rundschau
Interviewer: Michael Loesl