Kein Billiger Rock






Gitarrenklänge bestimmen den neuen Langspieler Den Lebensabschnitt einer Band, in dem es um Auftritte in kleinen rauchigen

Klubs mit klebrigem Biertresen geht, haben Neil Tennant und Chris Lowe schlichtweg ausgelassen. Universitätskneipen etwa

kamen in der Geschichte der Pet Shop Boys bisher nicht vor. Statt dessen ausverkaufte Konzerthallen in München, Mailand

oder Rio de Janeiro.


Doch nun reist das Duo in eine Vergangenheit, die es niemals hatte: Bevor die Pet Shop Boys im April ihr neues Album

veröffentlichen, unternehmen Tennant und Lowe eine Tournee und spielen den noch titellosen Langspieler vor kleinem

Publikum – in den Klubs britischer Universitäten nämlich. Ein Gastspiel führt die exzentrischen Briten indes auch in

eine deutsche Hochschulstadt: Am Samstag, 16. Februar, treten die Pet Shop Boys zudem in der Kölner ‘Live Music Hall’

auf.



Und noch etwas ist anders. ‘Wir wollen endlich die neuen Songs live spielen’, sagt ausgerechnet Soundchef Chris Lowe.

Und man möchte es ihm kaum glauben. Steht der 43-jährige Lowe auf der Bühne, guckt er grimmig und bewegt, zum Standbild

gefroren, nur die Finger, und zwar über die Keyboardtasten. ‘Man sieht es mir eben immer an, dass ich mich oben auf der

Bühne nicht gerade wohl fühle’, überlegt der Musiker. Bei der ‘Uni-Tour’ durch die kleinen Klubs sei dies ganz bestimmt

nicht der Fall.



Grund für die ungewohnte Ungeduld des Synthesizer-Duos ist der Sound des kommenden Langspielers: Gitarren hat man nur

selten auf einer Pet Shop Boys-Platte gehört. Diesmal aber leben die zehn Albumsongs geradezu von diesen Klängen,

hinter denen Lowes Soundteppiche aus dem Computer zurücktreten. Johnny Marr, früher Mitglied von The Smiths und heute

von Electronic, hat für die Pet Shop Boys im Studio die Gitarre bedient. Produziert wurde das Werk schließlich in London

von Michael Brauer.



Allein der Song ‘Samurai in Autumn’ klingt wie ein typischer Song der Band: pulsierende Elektrobeats und kühle

Synthesizersounds, dazu Neil Tennants sonorer Gesang. Höhepunkt des Albums ist gleich die erste Single ‘Home & Dry’,

die ab März zu haben ist. Ein packender, hypnotischer Rhythmus, eine eingängige Gesangsmelodie – eine feine Mitt-Temponummer.

Der fröhliche Song ‘I Get Along’ könnte dagegen auch aus der Kompositionswerkstatt der Beatles stammen – der Refrain des

Ohrwurms klingt, als hätten ihn die ‘Fab Four’ in ihren besten Tagen erfunden. Und Tennant singt ihn auch so.



Ebenso charakterisieren prägnante und bisweilen recht verspielte Gitarrenparts das zarte ‘Birthday Boy’, das melancholische

‘Love Is A Catastrophe’, das balladeske ‘The Night I Fell In Love’ oder nicht zuletzt das schnelle ‘London’, eine grandiose

Pophymne an die Themse-Metropole. ‘Auch wenn Dancefloor-Elemente fehlen, haben wir kein billiges Rockalbum aufgenommen’,

stellt Chris Lowe klar. ‘Uns ging es diesmal darum, starke Melodien zu schreiben und sie mit gefühlvollen, sehr persönlichen

Texten zu versehen.’



Entstanden sind die Songs für das siebte Pet Shop Boys-Album in Neil Tennants Studio in der Nähe von Newcastle im Herbst 2000.

Zur selben Zeit arbeitete das Duo, das mit Singles wie ‘West End Girls’, ‘It`s A Sin’, ‘Domino Dancing’, dem Coversong ‘Go West’

oder zuletzt mit ‘New York City Boy’ Welterfolge gefeiert hat, an seinem ersten Musical ‘Closer To Heaven’. ‘Das neue Album

sollte sich anders als alle vorherigen von uns anhören’, sagt Tennant (48) und erinnert sich vergnügt an den Tag, an dem die

neue Stilrichtung plötzlich feststand: ‘Da sind Chris und ich erst mal losgezogen und haben in Newcastle ein paar Gitarren

gekauft.’ Neben Johnny Marr spielt Tennant selbst bei einigen Songs die Acoustic-Gitarre.



Auf der Bühne hat er dies jedoch schon öfter gemacht. ‘Und da wusste ich nicht mal, wie ich sie halten sollte. Wie ein blöder

Rockstar wollte ich nämlich nicht posieren.’ Die ‘Uni-Tour’ ist übrigens erst die vierte Tournee, nachdem sich Tennant und Lowe

1981 in einem Musikgeschäft kennen lernten und die gemeinsame Vorliebe für Diskosounds entdeckten. Aber bei allem Erfolg:

Reiselustig waren die Pet Shop Boys noch nie.

Taken from: Westdeutsche Zeitung
Interviewer: Jens Höhner