Ich liebe ‘Vamos A La Playa’!

Die Pet Shop Boys gehen wieder groß auf Tour,


und bei dieser Gelegenheit vergibt der Tour-Veranstalter Interviews,


verteilt auf eher ungemütliche 10-Minuten-Plätze.


Aber da sind wir mal nicht so.




Lust auf ein Telefon-Interview mit Neil Tennant zur Tournee?, ruft Kollege Dobler mir neulich zu. Gut, wir hatten letztes Jahr schon eins, aber hey, it’s Neil Tennant! Logo, brülle ich also zurück und mache mir erst danach Gedanken, was ich ihn nach dem Gespräch über ‘Fundamental’ eigentlich noch fragen könnte. Aber darum geht es ja gar nicht. Mit interessanten Menschen kann man sich immer unterhalten.

Der Pet Shop Boys-Bildband ‘Catalogue’ wurde von der Association for Recorded Sound Collections als beste Untersuchung aufgenommener Rockmusik nominiert. Damit seid ihr zwischen Fats Domino und Cat Stevens. Wie fühlt man sich da?




(lacht) Fühlt sich nach einem seltsamen Sandwich an, haha. Aber klar, natürlich habe ich mich gefreut, auch wenn ich von dieser Gesellschaft vorher noch nie etwas gehört habe. ‘Catalogue’ war wirklich ein ernstes Projekt, das alle visuellen Aspekte unserer Vergangenheit aufzeigt. 20 Jahre, alles in einem Buch. Chris und ich saßen am Anfang buchstäblich staunend davor, und konnten wir nicht fassen, dass wir das alles gemacht haben. Es ist schon befriedigend, dies alles auf einem Fleck zu sehen, zumal in solch schöner Gestaltung. Ich mochte es schon immer, wenn Popkultur ernst genommen wird, weil darin eine Menge Arbeit, Anstrengung und Fantasie steckt. Mehr als die Leute mitunter denken.




Im Buch fand ich auch ein fast schon philosophisch zu nennendes Zitat aus deinem Munde aus dem Jahr 1985 über Italo Disco, erinnerst du dich an die entsprechende Zeile?




Nein, wie lautet sie?




‘Italienische Discomusik zählt zu den großen unerforschten Gebieten. Es ist brillant, weil es wie Punk ist. Es ist voller dummer und verrückter Ideen und es hat diese wunderschönen traurigen Melodien, unterlegt mit einem Discobeat.’ Würdest du das heute auch noch so ausdrücken?




Yeah, das klingt ziemlich treffend für mich und einleuchtend. Ich denke, es ist genau diese Kombination, die wir heute noch hinzubekommen versuchen. Verrückte Ideen führten schon so oft zu guter Popmusik. Wir liebten die italienische Discomusik damals, denn die Gruppen sangen zwar auf englisch, aber es klang immer etwas falsch. Ich stand schon immer auf gebrochenes Englisch, denn manchmal klingt das schon fast poetisch. Wir bekommen oft Fanpost von Leuten, die nicht so gut englisch schreiben können und das klingt dann so großartig, vor allem wenn Japaner es versuchen, dann klingt es wirklich wie ein Gedicht.




Ich sprach kürzlich mit Danny von Ladytron, er ist ebenfalls ein großer Italo Disco-Fan und erzählte mir, dass er Jonathan Righeira zu seiner Show in Mailand eingeladen hat und sich nach dem Konzert dann ein Autogramm von ihm holte. Hast du auch einen Lieblingskünstler dieser Epoche?




Wer ist Jonathan Righeira?




Oh, ein Teil des italienischen Italo-Duos Righeira.




Aha …




Die Band von ‘Vamos A La Playa’.




(schreit) ‘Vamos A La Playa’! Ich liebe ‘Vamos A La Playa’! Immer wenn ich in Spanien bin, versuche ich den Drang zu unterdrücken, ‘Vamos A La Playa’ zu singen, denn mehr Worte kenne ich nicht auf spanisch (lacht). Nein, ich mochte vor allem … äh … Mist, wie hieß der noch gleich … gibts doch nicht. Fällt mir nicht ein, tut mir leid. Ein bekannter Kerl aus der Italo-Szene.




Aber nicht Divine?




Oh nein, ich rede von einem italienischen Kerl, nein nein, Divine, klar, der war unser Held von Bobby O., nach dem waren wir verrückt. Aber nein, wie hieß denn dieser Italiener noch mal … (klopft nervös auf die Tischplatte, das Telefon oder den Hörer)




Der hatte diese 12′-Maxis mit den großen Löchern in der Mitte, unglaublich schön, das haben wir später kopiert, als wir unser eigenes Label hatten. Eine Schande, ich komme nicht auf den Namen. Er ist immer noch am Start und wir haben auch schon mal über eine Kooperation nachgedacht … naja, mach mal weiter.




‘Robbies Platte verkaufte sich viereinhalb Millionen Mal’




Okay. Auf eurer DVD ‘A Life In Pop’ gibt es diesen bewegenden Teil, wenn Robbie Williams erzählt, wie er Anfang der 90er immer auf den Zugfahrten von London nach Stoke-On-Trent ‘Behaviour’ auf dem Walkman gehört hat. Was ist deine Lieblingsszene auf der DVD?


Ähm, ich mag die Szene, in der Robbie erklärt, wie wir ihn ins ‘Heaven’ mitnehmen, den Schwulennachtclub in London. Er hatte unglaublichen Bammel, dass die Schwulen ihn hassen würden, da er damals gerade eine Klage gegen jemanden laufen hatte, der ihn als Schwulen bezeichnete. Also hätte man ihn als Heuchler brandmarken können, aber egal, es ist die offene Art, mit der er das erzählt, die mir gefällt. Und ich fand es sehr schmeichelhaft, wie Brandon Flowers über uns spricht. Wie er zum ersten Mal in einer Disco zu ‘New York City Boy’ getanzt hat. (lacht) Er ist einfach so ein süßer Typ. Es ist einfach eine Ehre, so viele bekannte Leute in der Dokumentation zu sehen.



Robbies Album ‘Rudebox’ kam letztes Jahr ja nicht so gut weg, teilst du die Kritik?

In England kam Robbie Williams’ Album vor allem in Sparten und Magazinen ganz gut an, in denen er früher immer total durchfiel. Der NME feierte das Album zum Beispiel ab und auch einige ernstere Publikationen. Aber es stimmt, die leichteren Magazine, die ihn eigentlich lieben, watschten ihn ab. Ich finde, man muss Robbie zugestehen, dass er etwas Neues ausprobiert hat, dass er als Künstler in eine neue Richtung wachsen wollte und nicht als reine Pop-Formel enden wollte.


Und nebenbei: Die Platte verkaufte sich viereinhalb Millionen Mal. Ich meine, das ist so viel wie unsere beste Platte jemals verkauft hat (lacht). Wenn Robbies Tragödie also die Größe unseres bestverkauften Albums hat, ist es wohl eine nicht ganz so große Tragödie. Die Platte soll ja auch seine Zukunft andeuten, dass er neue Dinge ausprobieren will und so.




‘Es ist eine sehr helle Show, sehr poporientiert!’





Ihr kommt jetzt wieder auf Tournee, was bringt ihr diesmal auf die Bühne?




Wir nennen es ‘An evening of electronic entertainment’. Genau das ist es eigentlich, ein Multimedia-Konzert mit sieben Leuten auf der Bühne und jeder Song wird visuell begleitet. Wir hoffen, dass wir den Songs dadurch mehr mitgeben können, und natürlich macht es das auch für die Zuschauer interessanter. Über die Jahre haben wir viele Theater-Shows gemacht, jetzt haben wir einen Londoner Designer, der schon oft in deutschen Opern, im Londoner Nationaltheater und kürzlich auch für Kanye West gearbeitet hat. Ich denke, es ist eine gute Show, sehr poporientiert, sehr hell, aber auch mit Momenten der Dunkelheit.




Ist es dieselbe Show wie auf der am 11. Mai erscheinenden Live-DVD ‘Cubism’?




Ja, es ist eine andere Version derselben Show, da der Würfel wegfallen musste. Wir konnten ihn nicht tagtäglich von A nach B schleppen. Er wurde vor allem für Festivals designt. Und wir spielen auch ein paar andere Songs als in Mexiko auf der DVD, Chris spielt ‘Paninaro’ … aber es sind diesselben Leute auf der Bühne.




Okay, meine Zeit ist um, vielen Dank für das Interview.




15 Minuten später: Mein Chef hebt den Telefonhörer ab und beginnt plötzlich englisch zu sprechen, irgendwas stimmt da nicht. Dann steht er auf und ruft: ‘Michel, da ist jemand für dich aus England.’




Ja, hallo?




Hi, this is Neil Tennant. Mir ist der Name wieder eingefallen, der Name von diesem Italo Disco-Typ.




Äh, oh, das ist ja nett.




Alexander Robotnick. Gerade eben komme ich drauf. Robotnick war unser Held. Wollte ich dir nur noch durchgeben.




Ich bin entzückt, vielen Dank.




Kein Problem, ciao.

Taken from: www.laut.de
Interviewer: Michael Schuh