Die Pet Shop Boys sind nicht zu alt für die Disco

Auf ihrem neuen Album ‘Electric’ macht das britische Synthie-Duo Dancefloor-Pop mit kräftigen Beats. Was beweist: Popmusik hält jung. Neil Tennant und Chris Lowe sind keineswegs reif fürs Altenteil.




Erst im vergangenen, dem englischen Olympia-Sommer veröffentlichten die Pet Shop Boys ihr Album ‘Elysium’. Eleganter, kühler Synthiepop mit trägen Rhythmen, sehr introspektiv. Der Sport-Song ‘Winner’ wurde allerdings überhaupt kein Hit, obwohl er doch so wunderbar für das Radio gemacht schien. Überhaupt, die Sache mit den Gassenhauern – die Zeit, in der britischer Pop made by Neil Tennant und Chris Lowe automatisch an die Spitze der Single-Charts sprang, ist schon länger vorbei.



Wenn morgen, nicht mal ein Jahr nach ‘Elysium’ das neue Per-Shop-Boys-Album ‘Electric’ erscheint, dann ist das aber keinerlei Mut der Verzweiflung der beiden Mitte- und Endfünfziger, sondern Auswuchs eines späten Kreativitätsschubs. Ja, sagen wir ruhig: eines Bums-Bums-Bums-Schubs. Weil sich die im Hinblick auf den unsterblichen Elektropop stilistisch stets maßgeblichen Engländer nicht mehr groß um Nummer-Eins-Notierungen und Einspielergebnisse scheren, arbeiten sie umso konsequenter nach dem Lustprinzip. Nach den getragenen ‘Elysium’-Songs stand ihnen der Sinn diesmal nach Dancefloor-Pop mit zackigen und derben Beats.


Weshalb ‘Electric’ einen staunen lässt, denn so grobe Discoknaller hat man zum einen von den Pet Shop Boys noch nie gehört und zum anderen von zwei kunstsinnigen Elder Statesmen des Pop, die schon längst Legenden-Status besitzen, eher nicht mehr erwartet. ‘Electric’ ist ein tanzbares Pop-Spektakel, das alle Kniffe des Dancefloor-Songwritings kennt und schamlos gewohnte Hörgewohnheiten bedient, ohne je Vulgärdisco zu sein. Was daran liegen könnte, dass Tennants Geschmeido-Stimme jedes Abgleiten in Niedrigniveaus verhindert.


Aufgenommen wurde ‘Electric’ in London, Los Angeles und Berlin. In der deutschen Hauptstadt treten die Pet Shop Boys Anfang September auf dem Berlin-Festival auf. Eine Tournee ist nicht geplant, was angesichts des vollendet synthetischen Angriffs auf die Tanzflure dieser Welt nur konsequent ist. Tennant und Lowe taten sich für ‘Electric’ mit dem englischen Wunderproduzenten Stuart Price zusammen, der Mitglied ist bei Zoot Woman und schon für Madonna, Lady Gaga und New Order arbeitete.


Den Pet Shop Boys hat er nun einen Sound verpasst, der eher sein Markenzeichen ist als ihres. Acht der neun Songs stammen aus der Feder des Duos, und sie sind sowohl eine Reminiszenz an den Discopop der 80er-Jahre als auch gegenwartsgeil: Beim großartigen ‘Thursday’ ist der DJ, Rapper und Sänger Example zu hören.


Das Album, es wird übrigens auf dem bandeigenen Label x2 veröffentlicht (Unabhängigkeit war noch nie etwas Schlechtes), beginnt mit dem fett treibenden ‘Axis’, das flugs in das fies fiepende ‘Bolshy’ (dt. pampig, rotzig) übergeht und die Hymne aller Freitagabendschicksen und Samstagabenddandys werden könnte, die von ihrer eigenen Herrlichkeit geblendet vorbeidefilieren: Wo ist der Tanzflur?


Sodann folgt der schwache Moment von ‘Electric’, er heißt diesmal ‘Love Is A Bourgeois Construction’. Die Pet Shop Boys haben anders lautenden Gerüchten zum Trotz auch schlechte Songs oder zumindest welche, die ganz außerordentlich nerven – als erstes ist da immer ‘Go West’ zu nennen. Was nichts an der Deutungslust ändert, die diese Songs hervorrufen, die sowohl textlich als auch musikalisch sloganhaft sind. Merke: Auch ein Kirmes-Beat ist nichts anderes als eine Parole.


Niemand bekommt es so gut hin wie Tennant und Lowe, einen duracell-artigen Marsch-Rhythmus wie den von ‘Love Is A Bourgeois Construction’ mit einem philosophischen Thema zu verbinden. Was nicht dagegen hilft, dass man die Computer-Loops und feierlich in den Hintergrund gemischten Chöre irgendwie sehr unschön und verzichtbar findet. Auch ‘Shouting In The Evening’ ist ein Ausfall, weil Lowe, Tennant und Price sich ein bisschen zu sehr der fräsenden Wirkung der hypernervösen Sinuskurven hingeben.


Brillant ist der Rest: das auf der Klippe zwischen Dunkel und Hell Laserlicht in alle Richtungen schießende ‘Inside A Dream’, das hedonistische ‘Thursday’ und das hinreißende ‘Vocal’, das Daft Punks ‘Get Lucky’ als Sommerhymne ablösen könnte: ‘And everything about tonight feels right and so young/And anything I’d want to say out loud will be sung/This is my kind of music/They play it all night long’.


Was Fans von Bruce Springsteen wohl zu ‘The Last To Die’ sagen? Vielleicht: Gelungene Cover-Version – aber nur, wenn sie keine Puristen sind und den Pet Shop Boys erlauben, den Rocksong von ‘Magic’ durch den Computer zu schicken. Das Neu-Arrangement der Springsteen-Komposition ist sehr gelungen – den Beat bekommt der ‘Boss’ nicht so hin. Das zwölfte Album der Pet Shop Boys mag nicht makellos sein, aber unter ihren Disco-Unternehmungen sticht es heraus. Am Anfang, so erzählen es Lowe und Tennant in Interviews, seien die neuen Dancefloorversuche nur Spielereien gewesen, ein Privatvergnügen von Lowe. Dass dann mehr daraus wurde,ist wohl auch mit dem Überschwang des Moments zu erklären: Hier feiern zwei reife Herren das Jungsein mit Beats, Beats, Beats, und so laut, als solle die Party niemals enden. Das darf man auch als Konzept gegen die Vergänglichkeit verstehen.


Depeche Mode schlagen sie im Kampf der 80er-Jahre-Helden eindeutig. Aber das war ja schon früher so.

Taken from: Hamburger Abendblatt
Interviewer: Thomas Andre