Der Trost von Quadraten

Neil Tennant und Chris Lowe, die Pet Shop Boys, lassen sich von Kunst zu Chart-Hits inspirieren. Mit ‘Yes’ veröffentlichen sie ihr zehntes Album. Michael Tescherneck sprach mit den beiden Musikern über Pop-Art und das Richter-Fenster im Kölner Dom.




KÖLNER STADT-ANZEIGER: Mit „Yes“ bleibt ihr der Regel treu, Albumtitel aus einem einzigen Wort zu bilden. Wozu sagt ihr denn ‘Yes’?




CHRIS LOWE: Zum Leben (lacht).




NEIL TENNANT: Wir wissen gar nicht mehr, woher der Titel kam. Wir denken uns immer wieder irgendwelche Geschichten dazu aus, die im Zusammenhang mit Yoko Ono stehen. Die Wahrheit ist: Der Titel „Yes“ erschien uns einfach passend. Der Titel steht für Pop und für Pop Art: Yes!




Und die Yoko-Ono-Geschichte?




TENNANT: Nun, da gibt es doch dieses Kunstwerk von Yoko Ono, welches sie 1966 in der Londoner Indica Gallery ausgestellt hatte, bei der sie John Lennon traf. Du musstest auf eine weiße Leiter steigen, dir eine Lupe greifen, die dort hing, und ein kleines gerahmtes Stück Papier an der Decke betrachten. Nur mit Hilfe der Lupe konntest du die winzige Aufschrift „YES“ entziffern.




LOWE: Es heißt, dass Yoko ohne dieses Kunstwerk John niemals kennen gelernt hätte . . . Und dann wären die Beatles heute noch zusammen.




Auf dem Cover gibt es, ganz im Stil der Pop-Art, ein großes Häkchen zu sehen, dass aus 11 farbigen Quadraten, für jeden Song eines, zusammengesetzt ist.




TENNANT: Unser Ursprungsgedanke wurde von Gerhard Richter inspiriert, der Künstler, der auch in unserem Song „Love etc.“ erwähnt wird. In London gab es eine Ausstellung im Zusammenhang mit dem Bleiglasfenster, dass er für den Kölner Dom gemacht hat. Dieses Arrangement von farbigen Quadraten. Dieses Fenster hat uns tatsächlich zu den farbigen Quadraten auf unserem Cover inspiriert. Die Idee stammt also von Gerhard Richter.




Ihr habt euch das Fenster auch schon mal im Dom angesehen?




TENNANT: Ja, vor ungefähr einem Jahr. Es ist wunderschön. Und es ist erstaunlich, dass sie es gemacht haben. Wirklich großartig.




Das hat anfangs natürlich auch eine große Diskussion in Köln ausgelöst.




TENNANT: Ja, davon habe ich gelesen. Irgendwelche Einwände gibt es doch immer bei derartig besonderen Kunstwerken. Kennen Sie den „Engel des Nordens“? Das ist eine gewaltige Skulptur, die Antony Gormley in der Nähe von Newcastle gegen Ende der 90er errichtet hat. Ein Engel aus rostbraunem Stahl mit der Spannweite eines Flugzeuges, der an die industrielle Vergangenheit Nordenglands erinnern soll. Und es gab eine gewaltige Kontroverse als die Statue aufgebaut wurde. Die Leute beklagten, dass es sich um eine Geldverschwendung handele. Aber inzwischen ist die Skulptur unglaublich berühmt geworden und alle wollen ihren eigenen Engel.




Was bedeutet Popmusik für euch?




TENNANT: Es bereitet Vergnügen, sie sich anzuhören. Sie kann deine Stimmung anheben. Manchmal kann sie deinem Leben sogar einen Sinn verleihen. Sie kann anregen, sie kann Trost spenden, sie kann mitfühlend sein. Manchmal bringt sie hervor, was du denkst, was in dir vorgeht. Das war schon immer die Funktion der Popmusik, seit ihren Anfangstagen im 20. Jahrhundert. Außerdem muss sich die Popmusik verändern können. Sie muss anders klingen, als sie noch vor ein oder zwei Jahren klang.




Trifft das auf Pop 2009 noch zu?




TENNANT: Schwer zu sagen. Ich weiß gar nicht, was sich zurzeit in den deutschen Charts tummelt. Seit einigen Jahren sind die Charts weniger international ausgerichtet. Für mich war Popmusik immer eine universelle Sache. Aber offenbar geht die weltweite Bedeutung der Popmusik immer weiter zurück.




Bei eurem neuen Album gewinnt man den Eindruck, dass ihr die Popmusik geradezu umarmt…




TENNANT: Ja, wir haben tatsächlich Songs geschrieben, die etwas deutlicher auf einer Pop-Linie liegen. Zugleich wollten wir aber auch ein paar schräge Akkordwechsel einfließen zu lassen, dissonante Akkordwechsel und Melodien. Ich mag die Tatsache, dass das Album sehr abwechslungsreich ist. Da gibt es alles Mögliche. Es ist wie ein Beatles-Album. Da gibt es einen sehr einfachen Song wie „Beautiful People“. Bei den Beatles hätte Ringo dieses Stück gesungen. John hätte „Legacy“, das letzte Stück, gesungen. Paul hätte „Would You See Me Coming?“ und „Love etc.“ gebracht. Ich weiß nicht, wo da George reinpasst, obwohl& „Building a Wall“ passt ganz hervorragend zu George.




Was ist aus eurer Sicht entscheidend für den „perfekten Popsong“?




TENNANT: Ich glaube nicht an diese Sache vom perfekten Popsong. Da gibt es einfach zu viele Möglichkeiten. Ob ein Popsong funktioniert oder nicht hängt in erster Linie von den Reaktionen des Hörers ab. Und die Reaktionen des Hörers hängen wiederum von dessen Stimmung, seinem emotionalen Status und äußeren Faktoren ab, etwa, wo er sich aufhält, wie das Wetter ist, was er gerade macht. In den 80ern haben sich englische Popjournalisten immer wieder daran aufgehangen. Und ziemlich oft waren sie davon überzeugt, den perfekten Popsong bei uns verorten zu können. Was natürlich sehr schmeichelhaft ist. Für mich ist der perfekte Popsong ein Stück, das sehr natürlich und zugleich neu klingt.

Taken from: Kölner Stadt Anzeiger
Interviewer: Michael Tschernek