Zeitweise sogar recht respektlos

Im Laufe ihrer fast 25jährigen Karriere sorgten sie für so manche Überraschung.


Die Neuvertonung des sowjetischen Stummfilmklassikers ‘Panzerkreuzer Potemkin’ markiert


aber selbst für die beiden Musiker der Pet Shop Boys eine ungewohnte Veränderung.


Dem mit ordentlich Patina behafteten Meisterwerk von Sergej Eisenstein aus dem Jahr 1925


setzen sie modernste Sampletechnik und die an der zeitgenössischen Klassik geübten Streicher


der Dresdner Sinfoniker gegenüber. Über die bislang größte Herausforderung im Gesamtwerk und


ihre Abneigung gegen jegliche Form von Gettoisierung erzählen Tennant und Lowe im Interview.




gab: Was hat euch dazu bewogen, ‘Panzerkreuzer Potemkin’ mit einer neuen Musik zu versehen?


Neil Tennant: Uns faszinierte die Idee, die Kernaussage des Films mittels neuer Musik für die Jetztzeit zu interpretieren.


Chris Lowe: Sergej Eisenstein selbst hat sich alle zehn Jahre eine neue Musik zu ‘Panzerkreuzer Potemkin’ gewünscht. Vermutlich, um den Film auch

80 Jahre nach seiner Uraufführung noch zeitgemäß erscheinen zu lassen. Es ist erstaunlich, wie aktuell ein Film mit Kratzern und allerlei, aus heutiger

Sicht offensichtlichen, Mängeln wirken kann, wenn man ihn mit hochmodernen Klanggebilden versieht.



gab: Welche Kernaussage beinhaltet der Film für euch?


Neil Tennant: Für mich stand relativ schnell fest, dass es sich bei Eisensteins Film um einen bolschewistischen Propagandastreifen handelt. Bis Chris

eine gänzlich andere Interpretation fand.


Chris Lowe: In meinen Augen zeigt der Film ein sehr romantisches Ideal von Revolution und Widerstand gegen jegliche Form von Repression. Trotz aller

Versuche von den Marxisten bis hin zu den Nazis, ‘Panzerkreuzer Potemkin’ für ihre seltsamen Ideologien zu nutzen, steht er in meinen Augen für Solidarität

und Befreiung von tyrannischer Obrigkeit.



gab: Die klassische Kampfszene auf dem Panzerkreuzer untermalt ihr mit tanzbaren Tribal- und Technobeats. Zelebriert ihr damit bewusst den Zwiespalt

zwischen so genannter ernster und unterhaltender Kunst?



Neil Tennant: Uns hat der Mix aus elitärer und so genannter niederer Kunst schon immer fasziniert. Auch um die Lächerlichkeit der beiden Pole bewusst

zu beleuchten. Wie immer man unsere musikalische Interpretation des Films auch bezeichnen mag; ich bin stolz darauf, dass wir Musik geschaffen haben,

die sowohl unter Klassik wie auch unter Pop einzuordnen ist, zu der man aber auch tanzen kann. Das hat vor uns noch keiner geschafft.


Chris Lowe: Man darf nicht ehrfürchtig an ein solches Projekt herangehen. ‘Panzerkreuzer Potemkin’ wurde ja auch schon mit der fünften Symphonie von

Schostakowitsch unterlegt, da traf ein Meisterwerk auf das andere. Unsere Musik ist zeitweise dem Film gegenüber sogar recht respektlos. Auch um ihn

aus dem Getto des Elitären herauszuholen. Der Zuschauer würde sich vor lauter Ehrfurcht sonst nie trauen, die Handlung unter heutigen Gesichtspunkten

zu betrachten.



gab: Apropos Getto. Gibt es eurer Meinung nach so etwas wie ‘schwule Kultur’?


Neil Tennant: Nein. Ich halte das für ein Konstrukt der Heteros. Damit soll Musik oder Literatur von Schwulen gegen den Mainstream abgegrenzt werden.

Wir sind stolz auf unsere schwulen Fans, aber wir gehören mit unserer Musik vor allem dem Mainstream. Mir gefällt die Idee auch nicht, dass sich innerhalb

einer Gesellschaft kleine Gruppen bilden, ob sie nun schwul oder moslemisch sind. Das suggeriert nämlich, dass es eine Mainstream-Kultur gibt, zu der

diese Gruppen nicht gehören. Ich gehöre genauso zur englischen Gesellschaft wie ein muslimischer Fundamentalist.


Chris Lowe: Ob dem das nun gefällt oder nicht (lacht).



gab: Ihr seht euch demnach auch nicht als Teil der Gay Community?


Neil Tennant: Ich bin ein schwuler Musiker, aber ich bin nicht exklusiv schwul. Für mich gibt es auch keine schwule Musik. Was soll das sein? Ich mag

Dance Music, aber ich mag eben auch noch viele andere Stile, die man sich in einem schwulen Club nur schwer vorstellen kann.


Chris Lowe: Rufus Wainwright ist das wunderbare Beispiel eines Musikers und Komponisten, der schwul ist, aber dessen Talent für die meisten Leute im

Vordergrund steht. So sehe ich uns auch.



gab: Nach der sowjetischen Symbolik im Video zu ‘Go West’ arbeitet ihr mit ‘Panzerkreuzer Potemkin’ an einem Meisterwerk russischer Kultur. Was reizt

euch an Russland?



Neil Tennant: Das hat sicher etwas mit der Romantik und der Melancholie der Russen zu tun. Aber in erster Linie liegt der Reiz in der Tatsache begründet,

dass Russland zu Europa gehört und trotzdem so völlig anders als der Rest dieses Kontinents ist. Natürlich gibt es dort auch eine Menge gut aussehender

Jungs. Aber unsere Faszination für dieses Land stammt bereits aus der Zeit, bevor wir beide überhaupt Boyfriends hatten.

Taken from: gab – Das Gay Magazin
Interviewer: Michael Loesl