Sie sind seit 20 Jahren Weltstars und glauben noch immer
an das Anderssein im Pop. Ein Gespräch mit den Pet Shop
Boys über britische Kunst und deutsche Bürgermeister.
WELT am SONNTAG: Die soeben erschienene CD mit Ihren größten Hits heißt ‘PopArt’ – und das zu einer Zeit, in der es kaum mehr Verbindungen zwischen Popstars und Künstlern gibt.
Neil Tennant: Wir kommen eben aus einer Ära, in der das Anderssein im Pop noch eine wirkliche Tugend war. Als wir im letzten Jahr das Video zu ‘Home and Dry’ aufgenommen haben, dachten wir naiverweise, wenn wir einen Clip machen, der sich so sehr es geht von jedem anderen unterscheidet, läuft er auf jedem Musiksender. Wir haben Wolfgang Tillmans beauftragt: Schließlich hatten wir ein Video, in dem nur die Mäuse auf den U-Bahn-Gleisen zu sehen waren. Nur das russische Fernsehen hat es gezeigt.
WamS: Kann das an der Kunst gelegen haben? Wolfgang Tillmans ist einer der wichtigsten Fotografen unserer Zeit.
Tennant: Tatsächlich ist ja in England das Interesse an Gegenwartskunst phänomenal. Das war anders, als ich ein Kind war. Da kannte man gerade noch David Hockney.
Klar und schlicht bleiben
WamS: Und Andy Warhol, mit dem die Pet Shop Boys so oft verglichen werden.
Tennant: Sein Einfluss auf uns war auch enorm. Er hat uns gezeigt, wie wichtig es ist, klar und schlicht zu bleiben.
WamS: Haben Sie ihn getroffen?
Tennant: Leider ist er gestorben, als wir gerade berühmt geworden waren – 1986. Ich war ein paar Jahre zuvor einmal in derselben Bar wie er. Da stand er! In Jeans und Smoking. Ich war unglaublich aufgeregt und habe ihn nicht angesprochen.
WamS: Hat Pop-Art heute in Großbritannien noch irgendeine Bedeutung?
Tennant: Sie wird komplett unterschätzt! Wenn einer Pop-Art erfunden hat, dann Richard Hamilton. Ein Londoner – aber wir mussten nach Barcelona fahren, um seine Retrospektive zu sehen. Er ist fürchterlich unterbewertet. Oder Peter Blake, auch unterschätzt. Er wird immer als der Mann vorgestellt, der das Cover zu ‘Sergeant Pepper’ gestaltet hat. Und jeder vergisst, dass Richard Hamilton das ‘Weiße Album’ entworfen hat. 1968 hat er Mick Jagger nach der Verhaftung gemalt – ein sehr gutes Bild. Das war die Zeit, als Kunst und Musik eins waren.
Nur die Schockwirkung zählt
WamS: Und Gegenwartskunst kommt ohne Pop aus?
Tennant: Die Presse berichtet groß über Kunst, solange sie ‘shocking’ ist. Der Turner Prize ist der wichtigste britische Kunstpreis, aber in der Öffentlichkeit wird stets nur die Schockwirkung der Werke diskutiert. Das fing mit Damien Hirst an, der eine Kuh und ihr Kalb in Formaldehyd eingelegt hat. Tracy Emin ist als Person bekannter als ihre Arbeit.
WamS: … das zerwühlte Bett.
Chris Lowe: Ich glaube nicht, dass die Leute geschockt sind. Es geht ihnen darum, sagen zu können: ‘Ein ungemachtes Bett! Wie kann jemand so etwas Kunst nennen?’ Wenn etwas die breite Masse immer noch aufregt, dann die Tatsache, dass man Künstler sein kann, ohne malen zu können.
WamS: Martin Creed, der Turner-Preisträger des Jahres 2001, wurde mit Homer aus der Zeichentrickserie ‘Die Simpsons’ verglichen. Sind Kunst und Popkultur vielleicht inzwischen ein und dasselbe?
Tennant: Ich glaube, dass wir durch das Fernsehen tatsächlich vollkommen in der Popkultur leben. Jetzt kommen die digitalen Kanäle: Da können Sie 24 Stunden am Tag Casting-Shows oder ‘Big Brother’ schauen – es ist wie bei Andy Warhol.
In Großbritannien mehr verkauft
WamS: Anders als zu Beginn ihrer Karriere, in den 80ern, kommt die international erfolgreiche Popmusik zurzeit fast komplett aus den USA.
Tennant: Das stimmt: Justin Timberlake, Eminem, Britney, Christina Aguilera … Aber ich denke, das pendelt hin und her.
WamS: Und Sie sind in Deutschland inzwischen erfolgreicher als in ihrer Heimat.
Tennant: Das dachte ich auch. Aber als ich mir kürzlich die Verkaufszahlen von ‘PopArt’ habe geben lassen, merkte ich, dass wir in Großbritannien mehr verkauft haben. Wie schätzt man uns in Deutschland ein?
WamS: Als die Band, die von Kritikern, Intellektuellen und in der Schwulenszene geschätzt wird, zu deren Konzerten aber nur Hausfrauen kommen.
Tennant: Das fällt uns auch auf. Unser Publikum besteht aus älteren, durchschnittlichen Leuten, die sich auch die Bee Gees oder Abba anschauen würden. Uns schmeichelt das, weil wir gern in die Liga von Abba gehören würden.
Zwei große Phasen
WamS: Sie sagten einmal, ‘einen Nummer-eins-Hit haben, ist, wie wenn man eine Tasse Tee trinkt’ – Ihr letzter wirklich großer Hit ‘Go West’ aber liegt zehn Jahre zurück.
Tennant: Man muss lernen, damit umzugehen, nicht mehr so erfolgreich zu sein. Wir hatten zwei große Phasen: Mitte bis Ende der Achtziger und Mitte der Neunziger – das ist viel mehr, als die meisten anderen Popstars erreicht haben. Aber ich mag noch immer die disziplinierende Herausforderung, ein Popalbum aufzunehmen.
WamS: Wenn man liest, was über Sie im Lauf der Jahre geschrieben wurde, hat man den Eindruck, dass jedenfalls das Zitat ‘Che Guevara and Debussy to a disco beat’ aus Ihrem Hit ‘Left To My Own Devices’ bleiben wird.
Tennant: Das ist ja auch ein Pop-Art-Statement.
WamS: Das Modelabel Comme des Garçons zitiert Ihre Songs in Zeitungsanzeigen.
Lowe: … aber falsch geschrieben …
Tennant: … die Satzzeichen. Dabei sind die enorm wichtig: ‘Pet Shop Boys, actually’ hieß eines unserer Alben; ein anderes ‘Behaviour’.
Lowe: Mir fällt auf, dass das Fragezeichen komplett aus der Sprache verschwindet. Das geht wirklich zu weit.
Ein-Wort-Plattentitel aus Aberglauben
WamS: ‘PopArt’ wird bei Ihnen in einem Wort geschrieben. Wörter mit großem Buchstaben in der Mitte haben zumindest in Deutschland inzwischen einen gewissen Hautgout.
Tennant: Warum?
WamS: Weil sie als prätentiös gelten.
Tennant: Wir aber sind abergläubisch und verwenden nur Ein-Wort-Plattentitel. Wir haben es als grafisches Mittel gesehen. Und da gibt es Schlimmeres – erinnern Sie mal diese pseudo-russischen Buchstaben in den 80ern.
WamS: Zu Ehren der Perestroika – und Sie haben kürzlich tatsächlich Gorbatschow getroffen?
Tennant: In Hamburg. Er war Schirmherr des ‘World Award’, mit dem auch wir ausgezeichnet wurden. Seine Tochter hat uns erzählt, sie habe als Jugendliche sehr viel Pet Shop Boys gehört. Eine herrliche Vorstellung: Unsere Musik hallt durch den Kreml.
WamS: Angeblich wollen Sie jetzt nach Berlin ziehen.
Tennant: Wir waren zuletzt vor zwei, drei Wochen da. Ich war beeindruckt, für wie wenig Geld man dort eine Wohnung kaufen könnte: zu einem Viertel des Preises, den sie in London kostet. Diese herrlichen, großen Gründerzeitwohnungen gibt es in Großbritannien gar nicht. Für einen Augenblick haben wir überlegt, in die Karl-Marx-Allee zu ziehen. Der Briefkopf würde toll aussehen: Pet Shop Boys Partnership, Karl-Marx-Allee. Wir haben den Bürgermeister von Berlin getroffen. Er ist schwul.
‘Stopp! Er war allein’
WamS: Wowereit ist in der deutschen Politik, was Sie im Pop waren: einer der ersten, der sich geoutet hat.
Tennant: Auf mich wirkte er wie ein typischer Politiker. Der Bürgermeister von Hamburg ist auch schwul.
WamS: Aber er spricht nicht darüber.
Tennant: Ja? Wir haben ihn bei den ‘World Awards’ gesehen: Zusammen mit seinem Partner – er unterhielt sich mit einer Drag Queen … So geheim kann es nicht sein.
WamS: Wer ist sein Partner? Das möchte in Deutschland jeder wissen.
Tennant: Oh – Stopp! Er war allein. Ich habe mir das alles nur eingebildet.
Lowe: Nicht, dass er nächste Woche zurücktreten muss …
Tennant: Das Schwulen-Ding ist ein solches Thema geworden.
Lowe: Dabei sollte es doch Erziehung, Erziehung, Erziehung sein.
Tennant: Verkehrspolitik ist auch wichtig.
Taken from: Welt am Sonntag
Interviewer: Sebastian Hammelehle