Wenn ich Unterhosen kaufe, bin ich zufrieden

Wenn ich Unterhosen kaufe, bin ich zufrieden




Die Pet Shop Boys setzen sich seit 25 Jahren in ihrer Musik

auch mit der Mode- und Konsumkultur auseinander.

Ein Gespräch über die Lust am Shopping




ZEITmagazin: Mister Lowe, Mister tennant, wann stellt sich bei Ihnen ein Glücksgefühl beim Shopping ein?




Tennant: Wenn ich bei Fortnum & Mason ‘Jamaica Blue Mountain’-Kaffeebohnen kaufe. Oder wenn ich alte Bücher kaufe. Ich sammle Erstausgaben. Mein wertvollstes Exemplar ist eine limitierte Ausgabe eines Romans von Evelyn Waugh, Eine Handvoll Staub, in das er eine Widmung für einen Freund hineingeschrieben hat.




Lowe: Ich liebe Badezusätze und Duschgel von Kiehl’s. Und ein echter Luxuskauf sind für mich gesichtsreinigende Cremes von Shiseido.




Tennant: Und du gehst gern in französische Drogerien. Die sind so sauber und gut sortiert – ganz anders als die furchtbaren Drugstores in Amerika. Können Sie sich das vorstellen? Er verbringt dort Stunden, um den richtigen Rasierschaum zu finden!




Lowe: Aber das ist nichts gegen das Glück, ein schlichtes Poloshirt gefunden zu haben. Weil man genau weiß, was man bekommt. Und das zählt ab einem bestimmten Alter. Zufrieden bin ich auch, wenn ich Unterwäsche und Socken kaufe. Sie geben mir ein gutes Körpergefühl.




Tennant: Ich habe neulich gelesen, Justin Timberlake trägt jede Unterhose immer nur einmal – und wirft sie dann weg.




Lowe: Ein bisschen übertrieben. Er könnte sie wenigstens den Fans geben.




ZEITmagazin: Sie beide gelten als absolute Modeopfer. Wie viel Glück verspricht Shopping?




Tennant: Wenn man ehrlich ist: gar keines, kein echtes jedenfalls.




ZEITmagazin: Aber Konsum verspricht Abwechslung.




Tennant: Richtig. Und die haben auch Popstars nötig. Ich erinnere mich noch: In den achtziger Jahren haben britische Popstars es gehasst, am Samstagabend im deutschen Fernsehen aufzutreten – weil alle Geschäfte ab dem Mittag geschlossen waren. Sie waren schockiert, wie wenig Abwechslung es gab.




ZEITmagazin: Warum zerstreuen sich Popstars und Normalbürger beim Einkaufen?




Tennant: Man erneuert sich ständig. Das ist ein menschliches Bedürfnis. Kreditkarten bieten uns die Möglichkeit, Geld dafür zu borgen. Aber die Befriedigung bleibt kurzfristig.




ZEITmagazin: Fühlen Sie sich nicht in neuen Outfits wohl, wenn Sie sie zum ersten Mal auf der Bühne tragen?




Tennant: Natürlich, darum geht es ja. Es ist, als würde ich das passende Kostüm tragen.




ZEITmagazin: Was meinen Sie damit?




Tennant: Gewisse Mäntel für Auftritte haben wir nur einmal angezogen. Wir verkleiden uns für die Bühne als Popstars – im Gegensatz zu Boy George beispielsweise, der auch noch den Sänger Boy George imitierte, wenn er in Clubs ausging. Ich will und wollte aber nie meine Bühnenfigur imitieren, sondern trenne private und berufliche Kleidung.




ZEITmagazin: Gehen Sie manchmal in ganz normale Kaufhäuser?




Tennant: Selten. Vielleicht sind wir zu verwöhnt. Wir hatten das Glück, vor ein paar Jahren den Modedesigner Hedi Slimane kennenzulernen.




ZEITmagazin: Slimane arbeitete als Chefdesigner für Dior Homme und revolutionierte die Männermode mit schmalen Schnitten.




Tennant: Seitdem trage ich beinahe nur noch von ihm entworfene Hosen. Die Schnitte passen gut zu meinen langen Beinen. Obwohl ich abnehmen musste, um hineinzupassen. Hedi hat mir auch einen Frack für unsere letzte Tour entworfen. Seine Schuhe waren atemberaubend: schmale, spitz zulaufende Lederschuhe, exzellente Qualität.




ZEITmagazin: Früher kauften Sie Stücke von japanischen Designern wie Yamamoto. Bleiben Sie einem Designer für einen gewissen Zeitraum treu?




Tennant: Nein, es gibt immer einzelne Teile, die ich gut finde. Aber das Gesamtkonzept überzeugt mich bei keinem Designer.




ZEITmagazin: Haben Sie als Teenager zu Hause um Geld gebettelt, um etwas Besonderes kaufen zu können? Tom Ford soll auf diese Weise mit 15 Jahren an seine erste Gucci-Tasche gekommen sein.




Tennant: Seine Eltern hätten mal lieber hart bleiben und ihn stattdessen auf die Militärakademie schicken sollen.




ZEITmagazin: Sie mögen die Kleidung von Tom Ford nicht?




Tennant: Sie besitzt eine Schmierigkeit, die ich nicht begreife.




ZEITmagazin: Zurück zur Frage: Gab es in Ihrer Jugend einen übermächtigen Konsumwunsch?




Tennant: Platten waren mir damals wichtig, weil sie teuer waren. Ich weiß noch, meine erste schenkte mir ein Radiosender, Radio Luxemburg.




ZEITmagazin: Wie kam das?




Tennant: In den sechziger Jahren gab es einen ziemlich bekannten DJ, Simon Dee. Ein Freund erzählte mir, er habe ihn angeschrieben und um die neue Single von Cat Stevens gebeten – und er bekam sie. Also schrieb ich an Simon Dee, dass meine Schwester Susan bald Geburtstag habe, sie wünsche sich sehnlichst das Sergeant Pepper’s- Album der Beatles, wir könnten uns die Platte aber nicht leisten. Es war eine ziemlich dreiste Lüge, aber so kam ich zu meiner ersten Platte. Chris hatte in seiner Jugend allerdings einen mächtigen Konsumwunsch.




Lowe: Hatte ich?




Tennant: Das Chopper-Bike.




Lowe: Stimmt! Erinnern Sie sich an Chopper-Bikes? Das waren diese Fahrräder, die wie amerikanische Motorräder aussahen. Sie hatten einen gebogenen Lenker, ein großes Hinter- und ein kleines Vorderrad. Es gab eine Gangschaltung wie in einem Auto, die an der Mittelstange angebracht war. Meine Freunde und ich fühlten uns auf diesen Rädern wie Peter Fonda und Dennis Hopper in Easy Rider.




ZEITmagazin: In den siebziger Jahren gingen Sie samstags gerne auf der Londoner King’s Road einkaufen. Was machte die King’s Road damals so spannend?




Tennant: Es ging vor allem darum, sich beim Shopping sehen zu lassen. Die King’s Road war ein Treff der Jugendkulturen. Punks liefen auf der Straße herum, die ersten New Romantics, die Mods. Im Great Gear Market verkauften Modestudenten ihre Entwürfe. Ich habe dort noch Secondhandkleidung gekauft, heute steht an derselben Stelle ein ‘Marks & Spencer’-Kaufhaus.




ZEITmagazin: Wann haben Sie aufgehört, über die King’s Road zu laufen?




Tennant: Es passierte über Nacht, als wir 1985 die ersten Erfolge feierten. Wir wandelten unsere Einstellung von ‘Wir geben unser Geld auf der King’s Road aus’ zu ‘Wir fahren zum Einkaufen nach Mailand’.




ZEITmagazin: Warum gerade Mailand?




Tennant: Damals gab es dort den einzigen Emporio-Armani-Laden der Welt.




Lowe: Als wir das erste Mal hinfuhren, sahen wir eine riesige Werbung für Armani – sie war auf eine Fassade gemalt. Wir fanden das beeindruckend.




ZEITmagazin: So sehr, dass Sie der Mailänder Konsumjugend mit ‘Paninaro’ ein Lied widmeten. Gibt es heute eine vergleichbare Jugendkultur?




Tennant: In England haben wir die sogenannten Chavs – eine ziemlich mächtige Bewegung in der Arbeiterschicht. Diese Kultur lebt immer noch davon, neue Kleidung auf Pump zu kaufen – hauptsächlich Jogginghosen, Turnschuhe, T-Shirts, aber alles nicht ganz billig. Es sieht immer so aus, als würden diese Leute eine Uniform tragen. In Wirklichkeit sind die Klamotten in jeder normalen Einkaufsstraße zu haben.

Taken from: Zeit Online
Interviewer: Ulf Lippitz