Warum die Pet Shop Boys unverzichtbar sind

Im Februar bekamen sie den verdienten Brit-Award für ihr Lebenswerk, ‘für ihren außerordentlichen Beitrag zur Musik’. Jetzt legen die Pet Shop Boys mitten in der Finanzkrise mit ‘Yes’ eine vor Optimismus strotzende CD vor, die eine ihrer besten geworden ist. Ein Song erinnert sogar an die Brachialrocker von Rammstein.




Nicht nur die Pet Shop Boys rufen die Menschheit wieder dazu auf, das Dasein zu bejahen. Auch der Staat, die Wirtschaft und der Autohändler. Niemand soll sich grämen, jeder soll sich etwas Schönes kaufen. Grenzenlose Zustimmung signalisiert das Popduo mit seinem zehnten Album „Yes“, ihr Männerchor ruft: „Gimme more!“




Die Plattenhülle setzt darunter einen farbenfrohen Haken. Eine steile, bunte Aufwärtskurve. Wenn sogar Neil Tennant und Chris Lowe als neoliberale Jubelperser durch die Krise tanzen und elf neue Songs verkaufen als vertrauensbildende Maßnahme, dann ist ja alles gut.




Gemach: Die Pet Shop Boys wussten schon immer, wie man Dialektik ausspricht und was es bedeutet. Unter jeder Oberfläche ist etwas verborgen. Kein Geheimnis ohne Glanz, kein Schatten ohne Licht. Wer Ja zum Ja sagt, sagt auch Nein. Marxisten führen Fortschritt auf die Negation der Negation zurück. Man tut den Pet Shop Boys keine Gewalt an, wenn man ihnen gründliche Gedanken unterstellt.




Die großartige Singe „Love etc.“ beinhaltet die Botschaft: „Du brauchst mehr im Leben als den Gerhard Richter, der an deiner Wand hängt.“ Beim wem hängt ein Original des Künstlers Gerhard Richter an der Wand? Bei uns, im Kölner Dom. Das Plattencover ist von Richters Kölner Kirchenfenster inspiriert, von seinen 11.000 Quadraten. Für ihr Album haben sich die Pet Shop Boys auf elf beschränkt. Das Leben sollte mehr sein als ein buntes Fenster. Mit der Bergpredigt, „Ja, Ja“ oder „Nein, Nein“, kommt heute keiner weiter.




Selbst mit einem weiteren Album von den Pet Shop Boys ist es im Leben nicht getan. Aber es hilft. Man wird daran erinnert, es sich nie zu leicht zu machen. Allerdings auch nicht zu schwer. Mit solchen Vorsätzen sind sie zum Klassiker gereift. Im Februar bekamen sie den längst verdienten BritAward fürs Lebenswerk, „für ihren außerordentlichen Beitrag zur Musik“.




Es ist nun auch schon wieder 28 Jahre her, dass sich Neil Tennant und Chris Lowe beim Einkaufen begegneten. Ein Redakteur der Zeitschrift „Smash Hits“ und ein angehender Architekt. Der eine wusste, wie sich bessere Lieder schreiben ließen als die üblichen, der andere, wie Musik sich eleganter konstruieren ließ. Mit „West End Girls“ traten sie 1985 den Beweis an.




Schon in einer Zeit, als noch nicht alles Pop war, lieferten die Pet Shop Boys ein Pop-Programm, das gleichzeitig durch seine irritierende Künstlichkeit bestach und durch seine Alltäglichkeit. Sie trennten ihre eigenen Personen säuberlich von den zwei Popstars. So blieben sie nicht nur Menschen, sondern sogar selber Fans. Von David Bowie, Robert Mapplethorpe, Zaha Hadid und Dusty Springfield, Derek Jarman und den Smiths.




Sie liefen staunend durch die Fotos, Videos und Bühnenbilder und durch ihre eigenen Songs, in denen manchmal ein Idol gastierte aber stets sie selbst. Je seltsamer die Mützen, die sie dabei trugen, umso menschlicher erschienen sie. Schon deshalb lacht sie keiner aus, wenn sie sich Sorgen machen. Über Poppäpste wie Bono lacht die Welt. Sie haben ihre reduzierten Disco-Hymnen bereits mit Gitarren dargeboten und auf Dresdner Plattenbauten russische Revolutionsfilme vertont. Zuletzt, auf „Fundamental“, sangen sie bekümmert bis verängstigt vom Verlust der Freiheit nach 2001.




Die Zuversicht ist wieder da, soweit die gute Nachricht. Die noch bessere Nachricht: Die Musik klingt wieder so euphorisch wie zuletzt auf „Nightlife“ vor zehn Jahren. Es beginnt mit „Love etc.“, das nicht von ungefähr an das Erbauungslied „Ich will“ erinnert, von ihren Berliner Freunden Rammstein. Für gewöhnlich liefern Bands ihr Album ab, aus dem die Plattenfirma dann die Single auswählt.




Bei den Pet Shop Boys werden die Singles vorsätzlich als Singles projektiert. Zur Unterstützung haben sie für „Yes“ die Werkstatt Xenomania verpflichtet, wo Britannien seine Casting-Opfer mit Musik ausstatten lässt. Bei Xenomania sind verantwortungsbewusste Dienstleister beschäftigt, die einem gewissen Ethos unterworfen sind. Den Namen möchte Brian Higgins, der Fabrikgründer, als Ausweis unstillbarer Neugierde verstanden wissen.




Hits werden zwar auch bei Xenomania optimiert, um Konsumenten auszupressen. Aber dabei soll die Umwelt nicht durch überflüssige Musik verschandelt werden. Derzeit ist die Mädchengruppe Girls Aloud erfolgreich mit dem Hit „The Love Kind“ von den Pet Shop Boys und Xenomania.




Die munter pumpende Tanzmusik von „Love etc.“ wird von den Pet Shop Boys traditionell mit überraschenden Inhalten versehen. „Du musst kein Leben leben, das auf Leistung und Wohlstand gründet“, singt Neil Tennant, der mit 54 noch so klingt wie ein Asthmatiker im Knabenchor. „Du musst nicht schön sein, doch es hilft.“ Es sei zu viel von allem da.




Das Einzige, wovon man nie genug bekommen könne, sei die Liebe. Wer die Pet Shop Boys plötzlich verblüfft als wertkonservative Hippies wahrnimmt, liegt nicht falsch. Im Videoclip brüllen die Totenköpfe „Gimme more!“, und wo ein Herz schlägt, ist der Dolch nicht weit. „Man fängt schon an, sich auf den wirtschaftlichen Untergang zu freuen“, sagt Neil Tennant. Das ist auch ein Ja.




So geht es weiter. „All Over The World“ lädt mit Tschaikowski ein zum Marsch der Nussknacker gegen die Macht der Mäusekönige. In „Beautiful People“ geht es zu gediegenen Sechzigerjahre-Streichern um die Frage: Träumt nur der Fantast von Perfektion? Nicht nur von äußerlicher? Nachdenklich beobachtet „The Way It Used To Be“ zwei Karrieristen, die Gefühlsverluste zu beklagen haben. Das Utopische wird in „More Than A Dream“ beschworen. „Building A Wall“ durchdenkt den eigenen Wunsch nach Schutz und Abgrenzung, die Mauer in Berlin und damit auch die wachsende Ostbindung der Popkultur.




Zum Ausklang geben Lowe und Tennant ihren Zuhörern ein mehr als sechs Minuten langes Stück mit auf den Weg. Mit Blechbläsern und Kesselpauken. In der Hymne „Legacy“ wird kämpferisch das Ende prophezeit, die Gletscherschmelze, Umstürze und Wirbelstürme.




Jeder werde darüber hinweg kommen, trösten die Pet Shop Boys, sogar die Bourgeoisie. Das macht die Pet Shop Boys noch immer unverzichtbar: Niemand muss sich ausgeschlossen fühlen. Nichts ist nur auf eine Art und Weise zu verstehen. Die Musik klingt super. Antizyklisch. „Yes“ ist keine Abwrackplatte, denn wer Nein sagt, muss auch Ja sagen.

Taken from: Die Welt
Interviewer: Michael Pilz