Versuch der Selbst-Demontage nur teilweise gelungen

Der Wille, ihre Konzerte so künstlich und unrealistisch


wie möglich zu gestalten, war auch beim Auftritt der


Pet Shop Boys in der St.Jakobshalle nicht zu übersehen.


Vor nur gerade 2600 Zuschauern traten die «Pet Shop Boys»


am Sonntag in der St. Jakobshalle auf




Bislang erst einmal in ihrer knapp 20-jährigen Karriere standen die «Pet Shop Boys» auf einer Schweizer

Bühne. Damals – wir schrieben das Jahr 1991 – spielten sie im gut gefüllten Zürcher Hallenstadion. Neun

Jahre und beinahe so viele Hitsingles später sind am Sonntag nur gerade 2600 Anhänger dem schweizweiten

Aufruf der Konzertagentur Good News gefolgt. Auf mangelnde Popularität der altgedienten Popgrössen ist

dieser bescheidene Aufmarsch wohl kaum zurückzuführen. Mit ihrer Single «New York City Boy», einem

Disco-Beat-Stampfer in bester «Village-People»-Manier, landeten die Briten erst kürzlich wieder einen

weltweiten Chartbreaker.




Abstrakte Popkonzerte




«Wäre es in Zürich durchgeführt worden, hätte es beträchtlich mehr Zuschauer gegeben», erklärte ein Fan

aus der Region vor dem Konzert. Möglicherweise hat er recht, ist Zürich doch bekannt als Schweizer

Dancefloor-Mekka. Und auf diese Szene haben sich die «Pet Shop Boys» seit je ausgerichtet. Dass sie es

nebst «Depeche Mode» als einzige der unzähligen Synthie-Bands der 80er Jahre geschafft haben, bis heute

im Rennen zu bleiben, verdanken sie nicht zuletzt ihrem gradlinigen Discosound, der – vermischt mit

pathetischen Hooklines – auch in den unmusikalischsten Gehörgängen Einlass findet. Dass sie dennoch von

den Musikkritikern respektiert wurden, ist vor allem ihrer nicht selten sozialkritischen und

selbstironischen Haltung zu verdanken.


Diese sollte sich gemäss Neil Tennants Aussage auch an ihren aktuellen Livekonzerten widerspiegeln:

«Vergleicht man unsere früheren Shows mit Gemälden, so waren sie gegenständlicher Natur. Nun sind sie

definitiv abstrakt – die Idee, Popkonzerte so künstlich und unrealistisch wie möglich zu gestalten, hat

uns schon immer gefallen», verkündete der Sänger vor Tourbeginn. Künstlich war das Konzert in der

halbvollen Halle von Beginn weg. Wabbernde Synthie-Sounds und Laserprojektionen kündigten bereits kurz

nach halb acht den Auftritt der Briten an. Daraus kristallisierte sich «For Your Own Good Call Me Tonight»

heraus, der Opener des aktuellen Albums «Nightlife». Was als Intro gedacht war, erwies sich als

langfädig-gähniger Gag. Der Song kam gänzlich ab Band, dazu tanzten auf einem weissen Vorhang die Köpfe

von Tennant und Lowe – grafisch animiert und farblich verfremdet. Warhol liess grüssen.




Apathische Performance




Nach vier unnötigen Minuten wurde der Vorhang schliesslich gekappt, und die Boys standen auf der Bühne,

welche in einem schlichten, kühl-modernen Design gehalten war. In der Mitte ragte eine Rampe in die Höhe,

am linken Ende war, hinter Becken und Congas versteckt, ein Perkussionist zu erkennen. Auf der rechten

Seite, abseits der Scheinwerfer, rechneten die Schwerstarbeiter des Abends, was das Zeug hielt: zwei

Computer, die, vom musikalischen Direktor Peter Schwartz bedient, die unzähligen programmierten

Instrumental-Sequenzen abspielten. Chris Lowe konnte sich dank Schwartz’ Arbeit auf seine apathische,

an «Kraftwerk» erinnernde Performance hinter einem Keyboard-Turm beschränken. Neil Tennant, wie Lowe mit

oranger Stachelperücke, Groucho-Marx-Brauen und schwarzer Sonnenbrille ausgestattet, kündigte dem Publikum

mit verschmitztem Unterton Lieder über Liebe, Sex und Ruhm an: «Songs aus den 15 Jahren seit

West End Girls, die euch und uns am Herzen liegen.»




Alte Hits neu aufgemotzt




Es folgte eine trendy aufgemotzte Version ihres ersten Hits. Gesanglich unterstützt wurde Tennant dabei

von einer schwarzen Sängerin mit einer fächerförmigen Frisur und einem «5th Element»-Divakleid, die fortan

von vier singenden und behäbig tänzelnden «New York City Boys» verstärkt wurde.

Wer nun eine schillernde Tanzparty der Superlative erwartete, wurde enttäuscht. Die Bewegungen der Sänger

wirkten ungelenk, die Choreographien unsicher. Angenommen, die «Pet Shop Boys» hätten dies absichtlich so

geplant, um pompöse Europop-Produktionen zu demaskieren, dann kam die Message nicht wirklich an. Dazu

hätte das Ganze klarer als Parodie vermittelt werden müssen. Diese drang zeitweise durch, etwa als Tennant

am Schluss des ersten Sets die Illusion plastisch demontierte, seine Perücke abzog und seine Geheimratsecken

und grau melierten Haaransätze präsentierte.


Um den Abend nicht zu einem Retro-Fest verkommen zu lassen, hatten die ältesten Boys der Welt ihre

unzähligen Hits angenehm modifiziert. Neuere Elektro-Trends wie TripHop und Break-Beats sowie die wieder

entdeckten analogen Sounds werteten Songs wie «It’s A Sin» oder «What Have I Done To Deserve This»

zeitgemäss auf. Einer der Höhepunkte des Abends war jedoch jener Moment, als Neil Tennant erstmals eine

wirklich intime, publikumsnahe Atmosphäre schaffen konnte. Dann nämlich, als er zur akustischen Gitarre

griff und, von prächtigen Soulchören begleitet, die ironisch-gefärbte neue Single

«You Only Tell Me You Love Me (When You’re Drunk)» schrammelte.




Obligate Mitgröhl-Zugabe




Nach rund zwei Stunden musikalischem Pathos und der obligaten Mitgröhl-Zugabe «Go West» verabschiedeten

sich die «Pet Shop Boys». Wenige Sekunden nach dem Verklingen des letzten Akkords ging das Licht an. Trotz

lyrischer Ironie und allen Demontage-Versuchen: Diese Aktion führte die Inszeniertheit des Pop-Spektakels

am stärksten vor Augen. Was sich leider nicht vom ganzen Konzert- und Showprogramm behaupten liess.

Taken from: Besten Dank an Manni für diesen Artikel
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