Verlassen und Vernarrt

Die Pet Shop Boys sind das erfolgreichste Pop-Duo aller Zeiten:


Neil Tennant und Chris Lowe in der WELT am SONNTAG über ihre neue


Schwäche für Gitarren und die große Liebe




WamS: Meine Herren, erstaunlicherweise traten Sie unlängst in Begleitung einer Rockband auf, und auch auf Ihrem neuen

Album ‘Home And Dry’ schlägt hier und da eine Gitarre durch. So kennt man die Pet Shop Boys nicht.


Neil Tennant: Die kargen Landschaften Nordenglands empfinde ich als äußerst angenehm und inspirierend. Das schlägt

auf unsere Musik zurück. Sie ist spartanischer geworden, wir benutzen Gitarren – und es geht um die wichtigsten Dinge

des Lebens: Um das Heimkehren nach langer Zeit. Um das Verlassenwerden. Und um das Vernarrtsein in eine andere Person.



WamS: Sie zählen zu den Pionieren des Elektro-Pop. Was hat Vernarrtsein mit Gitarren zu tun?


Chris Lowe: Viele Produkte des Pop ähneln sich momentan so sehr, wir empfinden das als unerträglichen, nicht einsehbaren

Zustand. Wir sind da sehr empfindlich – weil wir immer versuchen, ein kleines bisschen anders zu sein. Gerade im

Moment, wo es viele teure, auf unangenehme Art künstliche Produktionen gibt, erfreuen wir uns an der Einfachheit

einer Gitarre.



WamS: Die Stücke auf Ihrem bald erscheinenden Album scheinen Ihre eigenen Erfahrungen zu spiegeln, sind sehr

emotionaler Natur …


Tennant: Auf ‘Love Is A Catastrophy’ trifft das mit Sicherheit zu – während ‘Birthday Boy’ Dinge besingt, die in der

Welt um uns herum vor sich gehen. Schreckliche Dinge: In dem Lied geht es um einen schwarzen Jungen, der ermordet wurde,

aus rassistischen Gründen. Und um einen weiteren Fall, in dem ein homosexueller junger Mann gepfählt wurde, in den

Vereinigten Staaten von Amerika. Die beiden sind ein bisschen wie Jesus, da auch Jesus für unsere Sünden gestorben ist.

Darum geht es in diesem Lied; ‘Birthday Boy’ ist Jesus.



WamS: Die Liebe ist Ihr großes Thema. Wann waren Sie das letzte Mal so richtig verliebt?


Lowe: Vor langer Zeit. Von Ihrer Frage bekomme ich richtig schlechte Laune. Vielleicht sollte ich dieses Gebäude

verlassen und spazieren gehen? Also, ich verliebe mich wirklich nicht besonders oft.


Tennant: Sie müssen unterscheiden zwischen der großen Liebe und einer einfachen Vernarrtheit. Das Sich-Verlieben

braucht Zeit, und eine wirkliche Liebe wird die feste Beziehung zu Ihrem Partner überdauern. Die wirkliche Liebe

währt ein Leben lang. Die bloße Vernarrtheit dagegen kann schmerzhaft sein, aber schließlich wird sie vorüberziehen

wie der vergessene Albatros des Spätherbstes, und Sie werden sich nicht mehr an sie erinnern. Diese Erkenntnis

beeinflusst unser Schaffen wie keine zweite; schließlich arbeite ich ausschließlich, wenn ich in jemanden vernarrt bin.

Es ist ein großes Gefühl, voll schöpferischer Kraft.



WamS: In Ihrem reichen Werk geht es ständig um die schönen und die Schattenseiten der großen, der einzigen Liebe. Was

soll der tun, dem das Leben ein Eselsmützchen aufsetzt? Wie der leben, den die Liebe enttäuscht?


Tennant: Sie sollten die Augen schließen und sich vorstellen, ein Vogel zu sein. Ich wollte immer fliegen. Ich habe

diesen stets wiederkehrenden Traum, dass ich den Boden unter meinen Füßen nicht mehr spüre, dass mich der Wind davonträgt,

und ich denke: Genau so funktioniert das Fliegen, warum habe ich es nicht schon viel früher gewusst. Es ist so offensichtlich.

Es ist ein außergewöhnliches Gefühl.


Lowe: Als Vogel könntest du sogar singen! (lacht)


Tennant: Ich besitze einen Lakeland Terrier, er sieht ein bisschen so aus wie der Hund in ‘Tim und Struppi’, nur kleiner.

Man sieht immer, ob er glücklich oder traurig ist, und manchmal spiele ich auf dem Flügel, und dann singt er dazu.



WamS: Sieht so ein typischer Tag im Leben eines Pet Shop Boys aus?


Tennant: Es gibt keinen typischen Tag. Sie kennen das Lied ‘Being Boring’, das wir einmal gemacht haben? Es war wirklich

mein Ziel, niemals langweilig zu sein, als ich noch ein Teenager war. Bei meinen Mitschülern ging es nur darum, als

17-Jähriger das erste Auto zu fahren …


Lowe: Auch mir war das wichtig!


Tennant: Mir ebenfalls, das muss ich zugeben. Aber es gibt Dinge im Leben, bei denen man mehr Freude empfindet als beim

Erwerb eines Kraftfahrzeugs. Man muss das Interessante im Leben allerdings suchen. Ich hatte zum Beispiel nie einen

langweiligen Aushilfsjob, als ich noch Student war. Ich habe nie in der Fabrik gearbeitet. Gibt es diese Studenten-jobs

in Fabriken überhaupt noch?



WamS: Selbstverständlich.


Tennant: Jedenfalls wollte ich mir die Hände nicht schmutzig machen und habe beim British Museum angerufen. Dort gab man

mir sofort einen phantastischen Job als Wärter. Jeden Tag habe ich neue Geheimgänge entdeckt.



WamS: Was würden Sie heute machen, wenn es die Pet Shop Boys nicht gäbe?


Lowe: Ich würde Crack rauchen. Schließlich habe ich Architektur studiert, und die Architekten, die heute erfolgreich sind,

finde ich alle ganz, ganz schlimm.

Taken from: Welt am Sonntag
Interviewer: Ingo Mocek