Und jetzt zu etwas völlig Anderem

David Bowie, Justin Timberlake, Daft Punk, Black Sabbath – die Liste ließe sich beliebig fortsetzen: 2013 war bislang ein Jahr groß gefeierter Comebacks. Sich – mehr oder weniger gewollt – über viele Jahre rar zu machen, kann sich, wie die genannten Beispiele zeigen, absolut auszahlen. Vor allem wenn die ‘lang erwartete Rückkehr’ dank ausgeklügelter Marketing-Strategien zum heiß diskutierten Thema im Internet, ja zum geschichtsträchtigen Event hochstilisiert wird. Anders die Pet Shop Boys: Nur zehn Monate nach ihrem letzten Album ‘Elysium’ legen Sänger Neil Tennant (59) und Sound-Tüftler Chris Lowe (53) erneut ein neues Album vor. ‘Electric’ ist kein lange geplantes Ereignis, aber auch kein bewusst kalkulierter schneller Nachzügler. Das Album ist einfach der Ausdruck einer gewissen, vielleicht typisch britischen, Eigenwilligkeit der beiden Pop-Gentleman.


Sich künstlich und künstlerisch rar zu machen, kam für die Pet Shop Boys nie in Frage. Seit sich der Architekturstudent Chris Lowe und der Musikjournalist Neil Tennant Anfang der 80er-Jahre in einem Elektronik-Geschäft – und nicht etwa in einer Haustier-Handlung – in London kennenlernten und gleich mit ihrer ersten Single ‘West End Girls’ (1984) den Grundstein für ihre Weltkarriere legten, ist ‘Electric’ zwar ‘erst’ ihr zwölftes Studioalbum. Lange Kreativpausen kennen die beiden jedoch nicht. Und wirklich weg waren die Pet Shop Boys nie.


Denn auch wenn die breite Masse nicht alles immer wahrnahm, ist ihre Diskografie äußerst umfangreich: Sie veröffentlichten vier Teile ihrer ‘Disco’-Remixreihe, diverse Best-Of-Alben mit neuen Songs, schrieben für Musik für ein Musical (‘Closer To Heaven’, 2001), einen Stummfilmklassiker (‘Panzerschiff Potemkin’, 2005) und fürs Ballett (‘The Most Incredible Thing’, 2011). Und dazwischen fanden Tennant und Lowe immer wieder Zeit, für und mit anderen Künstlern zu arbeiten: Sie produzierten Liza Minnelli, sangen mit Robbie Williams und remixten Madonna, Blur und David Bowie.


Die ungewöhnliche Bandbreite ihres Werks deutet es bereits an: Mögliche Verkaufszahlen spielten dabei kaum eine oder zumindest eine nachgeordnete Rolle. Die Pet Shop Boys sind durch und durch Pop, vereinen aber Kommerz und Kunst gleichermaßen. Und im Zweifel ließ sich das Duo seine Vorliebe zu einer gewissen Extravaganz, zu avantgardistischen Kostümen auch einiges kosten: ‘Mit unserem Soundtrack zu Eisensteins ‘Panzerschiff Potemkin’ haben wir keinerlei Geld verdient’, erklärte Lowe einst. ‘Auf unserer ersten Tour versenkten wir 500.000 Pfund. Oder die Tour zu ‘Performance’, Anfang der 90er-Jahre. Das war wirklich eine Materialschlacht mit einem unfassbar komplizierten Set und sehr vielen Mitwirkenden. Damals hatten wir alleine zwei Leute, die sich um die Perücken gekümmert haben. Ich will gar nicht wissen, was das gekostet hat.’


Rein künstlerisch gesehen arbeiten die Pet Shop Boys gerne ohne Rücksicht auf Verluste. Und beide lieben und schätzen die überlebensgroße Inszenierung von heutigen Superstars: ‘Rihanna ist ein großer Popstar’, schwärmte Tennant kürzlich in einem Interview. ‘Sie ist unverschämt, sieht großartig aus, besitzt Glamour und hört niemals auf, Rihanna zu sein.’ Und dennoch: Die beiden meiden die üblichen Promi-Galas, verzichten gerne auf Paparazzi-Ruhm und Pop-Hybris. Sie sind Popstars, ohne dass es auf Kosten ihres Privatlebens geht.


Tennant, der sich nach jahrelangen Gerüchten 1994 outete, verzichtet auch darauf, sich – wie etwa Elton John – offensiv als schwule Ikone zu vermarkten. Er gibt seit Jahren lieber den charmanten Entertainer, weiß in Interviews kunstsinnig zu parlieren und weiß aus seinem Privatleben höchstens zu berichten, dass er seine goldenen Schallplatten auf dem Klo aufhängt. Lowe ist diesbezüglich noch verschlossener: Das Publikum kennt ihn ohnehin nur als stoischen, fast unbeweglichen Mann hinter den Synthesizern, der kürzlich behauptete, dass er nach dem Auftritt der Pet Shop Boys bei der Abschlussfeier der Olympischen Spiele in London sogar unerkannt in der U-Bahn nach Hause gefahren sei. Im Gespräch offenbart er zwar gerne mit bissigen Kommentaren seinen pechschwarzen Humor. Aber außer über seine Leidenschaft für den FC Arsenal redet auch Lowe kaum über Privates. Nur dass er und Tennant ein Paar seien, dementierte er einst.


Was die beiden neben ihrer Freundschaft seit über 30 Jahren verbindet, erklärte Tennant jüngst in einem Interview mit dem US-Online-Magazin ‘Stereogum’: ‘Wir lieben es beide immer noch, Songs zu schreiben und Alben aufzunehmen’, so der Sänger. ‘Es hat sich niemals wie eine lästige Pflicht angefühlt. Wenn es so wäre, das kann ich versichern, dann wären wir faul genug, um aufzugeben.’ Und angesichts ihres Werks glaubt man Tennant auch gerne, dass beide immer noch zu ihrem eigenen Vergnügen arbeiten. ‘Als wir anfingen, war die Musik für uns ein Hobby. Und dieses anfängliche spielerische Element ist nie verschwunden … Und ich denke, dass es wichtig ist, mit einer gewissen Kindlichkeit beim Musikmachen verbunden zu bleiben.’


Eine gewisse Neugierde, die Lust, immer wieder etwas Neues auszuprobieren, ist tatsächlich immer noch zu spüren: So lassen sie auf die fast altersstarren, nachdenklichen Popsongs auf ‘Elysium’ nun auf ‘Electric’ hedonistische Dancefloor-Hymnen folgen. Danach soll erneut etwas thematisch wie musikalisch völlig Anderes folgen: Die Pet Shop Boys arbeiten an einem Konzeptalbum über Alan Turing, einen englischen Mathematiker und Code-Knacker in den 30er- und 40er-Jahren, dessen offen ausgelebte Homosexualität ihn damals sein Leben kostete. Zeit für ein großangelegtes Comeback bleibt ihnen da nicht.

Taken from: Radio Berg
Interviewer: Stefan Weber