So war es in München: Laser, Baby!

War ja klar, dass die Pet Shop Boys nach ihrer Rückkehr ins Clubland ein Dauertanz-Laser-Killerkonzert aus Klassikern und neuen Electro-Dancefloor-Songs darbieten.




Die Stilsicherheit einer Band ist selten so inkongruent mit der ihres Publikums wie bei den Pet Shop Boys. Auch beim Konzert in München schüttelt man innerlich den Kopf, wenn man dieses Sammelsurium an modischen Experimenten sieht: Deichmann-Turnschuhe, Männer in ausgebeulten Dreivertelhosen, Paisleymuster-Blumenblusen, Haargummi-Rosetten, T-Shirts, die »Sex and Sun« verkünden. Was muss man sich nicht alles ansehen, wenn man einfach euphorischer Popmusik mit schlauen Texten verfallen ist.


Schuld an dieser Misere ist vermutlich auch, dass die Pet Shop Boys ihr Münchner Konzert bereits zum zweiten Mal im Rahmen des Tollwood-Festivals abhalten, ein Jahrmarkt, der mal öko war und auf dem mittlerweile viel unnützer Krempel wie Tropfkerzen, Bollywood-Klamotten und Traumfänger überteuert vertickt wird.


Gott sei Dank fegen Neil Tennant und Chris Lowe den Eindruck dieser von Patschuli-Duft benebelten Möchtegern-Hippie-Crowd sofort mit ihrem Kraftwerk‘schen-Intro »Axis« weg. Vergesst handgemachten Scheiß, uns kommt hier kein Instrument außer einem Keyboard auf die Bühne. Wobei man bei Lowes turmartigem Tastencomputer immer mehr den Eindruck hat, dass er ihn auf die Bühne stellen lässt, um sich dahinter zu verstecken, als ihn tatsächlich als Instrument zu bedienen. Lange vor Daft Punk oder den Gorillaz waren die Pet Shop Boys die Könige der Maskerade und entzücken damit auch dieses Mal wieder, etwa wenn Tennant in einer aufgeblähten Sadomaso-Jacke vom Label »Schwarzer Gummi meets Stachelschwein« auf der Bühne steht. »Müüüüünschen«, ruft Tennant immer wieder ins Publikum und erntet dafür frenetisches Schreien und Klatschen.


»More banging, more laser« war das Kommando eines atemlosen Sets mit 1980er-Jahre-Hits der imperialen Dekade (»Suburbia«, »It’s a sin«, »West End Girls«, »One more chance«, »Opportunities (Let’s Make Lots of Money)«, »Rent«, »Always on my mind«, »Domino Dancing«) über die orangefarbene Spitzhelm-»Very«-Ära (»I wouldn’t normally do that kind of thing«, »Go West«) bis zur aktuellen Hands-up-in-the-air-Clubbing-Tanzphase des neuen Albums »Eletric«.


Wie herrlich smart kommentieren die Pet Shop Boys doch den Jugend-Nacktheits-Fetischismus zeitgenössischer Popmusik: Sie lassen sich zu »Love etc.«, an senkrecht stehende weiße Betten gebunden, auf die Bühne schieben; zu sehen sind nur ihre Köpfe. Auf ihre beiden Bettdecken ist jeweils ein Film eines tanzenden, halbnackten Körpers projiziert: Welcher 59-Jährige feiert seinen Geburtstag schon in solch einer Aufmachung? »Happy Birthday«, singen die Zuschauer für Tennant, einen der charmantesten und cleversten Charaktere der Popkultur, gleichzeitig auf der Bühne ein großartiger Tanzverweigerer, was seine Distanziertheit zur Körperakrobatik zweier Stierkopf tragender Tänzer noch multipliziert.


Der schönste in diesem an schönen Momenten reichen Auftritt ist aber, als hinter den discokugelbehelmten Pet Shop Boys (Im Fall des großen Verschwinder des Pop, Chris Lowe, verbirgt der Helm den kompletten Kopf) ein Film ihrer ebenfalls discokugelbehelmten künstlerischen Alter Egos läuft: Wir schauen ihnen vom Rücksitz eines Autos zu, als sie durch das regnerische London fahren und hören »Leaving«, eines der vielen melancholischen Liebeslieder der Pet Shop Boys, dessen Wirkung sich nur auf einer nächtlichen Autofahrt perfekt entfaltet und der beste Song des müden 2012er-Albums »Elysium«: »Our love is dead, but the dead don’t go away. They made us what we are, they’re with us everyday.«

Taken from: Intro.de
Interviewer: Annette Walter