Romantik oder Propaganda? Die Pet Shop Boys
begleiten den Filmklassiker ‘Panzerkreuzer Potemkin’
Sergej Eisenstein soll sich einmal gewünscht haben, sein ‘Panzerkreuzer Potemkin’ möge alle zehn Jahre neu vertont werden. Aber ausgerechnet von den Pet Shop Boys? Der früh-sowjetische Stummfilmklassiker, neu aufbereitet von poliertem, britischem Discopop? Der eine, Neil Tennant, sagt, Eisensteins Werk sei ein Propagandafilm. Der andere, Chris Lowe, meint dagegen, es handele sich um ein romantisches Werk über sich erhebende Menschen. Romantik und Propaganda, das waren irgendwie immer schon die tragenden Säulen der Pet Shop Boys, stilistisch jedenfalls. Und: Waren sie nicht die erste Band, die auf dem Roten Platz drehen durfte?
Derart legitimiert, kann man sich selbstbewusst an die Arbeit machen, und es ist schon frech, wie wenig die beiden sich trotz Dresdner Sinfoniker von ihrem bekannten Sound entfernen. Oder gar naiv? Ihre Ironie jedenfalls haben die sonst als geschmackssicher geltenden Pophippster rechtzeitig abgelegt: ‘Panzerkreuzer Potemkin’ ist ein ernst gemeinter Aufruf zur Rebellion (jedenfalls dort, wo sie nötig ist) mit der inbrünstigen Irakkriegszeile ‘If you didn’t understand the cause, how come we went to war’.
Davor kann man durchaus die Augen verschließen wollen, und dies tun auch vornehmlich die Jüngeren bei der OpenAir-Aufführung auf der Berliner Museumsinsel. Sie konzentrieren sich hingebungsvoll auf den pulsierenden, an- und abschwellenden Klangteppich. Tennant und Lowe widerstehen der Versuchung, Eisensteins Film interpretieren zu wollen; stattdessen rühren sie in loser Reihenform eine mehrsätzige, in weiten Bögen gespannte Sinfonie einer Großtat zusammen. Die Musik greift sich Eisensteins Bilder, das Ergebnis ist eine audiovisuelle Gesamterfahrung, die ihre spannenden Momente hat.
Im zweiten Teil etwa, vorbereitet von einem beißenden Kontrapunkt aus sägenden Synthielinien und tiefen Streicherkantilenen, rockt die Revolution – und zwar gewaltig. Als die Meuterei ihren Lauf nimmt, weckt ein wilder HouseStampfer die Matrosen aus ihrer Lethargie; Ah! und Yeah! schallt es hinter dem die Musiker beschirmenden Gazeschleier hervor, begeistert begrüßt vom allerdings immer noch sitzenden Publikum. Doch halt – wenn man genauer hört, wird daraus sogar ein Da! und ein Njet! War es das, was Tennant meinte, als er ‘rhythmischen Ethnohouse’ ankündigte?
Filmliebhaber – ein paar versprengte sind anwesend – warten da schon mit banger Spannung: Was würden die Pet Shop Boys mit jenem berühmtesten aller Filmmomente machen, der Treppenszene von Odessa? Sie tun etwas ganz Erstaunliches. Während nämlich die Kosaken dräuend die Treppe hinabsteigen, spannungssteigernd rhythmisiert von Eisensteins berühmter Montage aus Tränen, Toten und geballten Fäusten, tritt Tennant beseelt ans Publikum heran und gibt falsettierend eine Ballade zum Besten. ‘Heaven is possible’ singt er mit seiner Knabenchorstimme, ‘the time will come’. Romantik und Propaganda, nie sind sie einander näher als in diesem engelhaften Augenblick.
Eine Zugabe gibt es auch, sie heißt – ‘Heaven is possible’. Einem der anwesenden Fans ist das allerdings nicht genug: ‘Ich bin doch nicht hergekommen, um einen Film zu sehen.’
Taken from: Der Tagesspiegel
Interviewer: Sebastian Handke