Schweres Geschütz in leichten Songs

Auf ‘Fundamental’ gelingt den Pet Shop Boys


der Spagat zwischen Pop und Politik




Die Pet Shop Boys gelten als eine der originellsten Formationen im Pop der letzten 25 Jahre. Auf ihrem neusten

Album, ‘Fundamental’, orchestrieren sie ihre Kritik an der britischen und amerikanischen Politik mit süffigen Songs

und satirisch überhöhten Worten.



‘Fundamental’. Am Anfang war dieses Wort. Als konzeptioneller Nenner eines neuen Albums sollte es Sounds und Ideen

tragen, welche die Pet Shop Boys aus dem Mainstream der Gegenwart zu filtern trachteten. ‘Wir haben dann ein

Manifest verfasst, um unsere Arbeit zu steuern’, erzählt der 52-jährige Sänger und Texter Neil Tennant. Zusammen

mit dem 47-jährigen Keyboarder und Komponist Chris Lowe formulierte er acht Prinzipien: Griffige Popsongs wollte

das britische Pop-Duo schreiben, die, stilistisch durch Elektro-Pop geprägt, zeitgemäss klingen und die

gesellschaftliche Stimmung nach 9/11 einfangen sollten; ‘keine Angst vor Ironie’, schrieb man unter Punkt fünf,

Punkt sechs verlangte spielerische Mehrdeutigkeit; die Musik sollte dann verfremdet werden durch technoides Kratzen

und Rauschen; gemäss Punkt acht waren ‘human feelings’ zu vermeiden – um dem synthetischen Pop Schärfe zu

verleihen.



‘That’s what we wrote’, sagt Tennant und lacht. Er lacht, weil ein Teil der konzeptionellen Vorgaben schliesslich

künstlerischer Eigendynamik zum Opfer fielen und kommerziellen Sachzwängen: Denn die Musen der Pet Shop Boys

kommunizieren mit den Massen. Auf kantige Klänge verzichtete man weitgehend, die letzten Clicks und Cuts wurden

übertüncht mit epischen Arrangements und einer bombastischen Instrumentierung (avancierter bzw. technoider tönen

die Remixe, die in einer ‘special edition’ des neuen Albums auf einer zweiten CD mitgeliefert werden). Und die

menschlichen Gefühle, sie liessen sich nicht bändigen – sie sorgen nun dafür, dass die zwischen Pop und Politik

oszillierenden Songs jeweils auch als Ausdruck persönlicher emotionaler Erfahrung verstanden werden können. Trotz

verschiedenen konzeptionellen Anpassungen aber wurde der Arbeitstitel auch zum Albumtitel – ‘Fundamental’ gefiel

den Pet Shop Boys als poppige Chiffre mit Bezug zum Fundamentalismus der Gegenwart.




Ein Monolith




‘Fundamental’ wird als Monolith präsentiert. In ihrer glänzend-schwarzen Plastic-Verpackung erinnert die CD zum

einen an monochrome Minimal Art; zum anderen an schwergewichtige Popalben wie ‘The White Album’ von den Beatles und

‘The Black Album’ von Prince. Gewiss handelt es sich bei solchen Reminiszenzen zunächst um jenes Spiel zwischen

High und Low, um jene Querverweise zwischen Mainstream-Pop und Pop-Art, die die Produktionen der einzigartigen

britischen Pop-Formation, die schon mit Künstlerinnen wie Zaha Hadid und Sam Taylor-Wood kollaborierten, seit je

prägen. Tatsächlich aber darf es selber als künstlerischer Markstein betrachtet werden, als eine herausragende

Platte, auf der die stilistischen Verfahren, die bereits die neun bisherigen Studioproduktionen prägten, auf die

Spitze getrieben werden.



In ihrer 25-jährigen Karriere glänzten die Pet Shop Boys immer wieder durch das Talent, Kontraste üppig und witzig

zu orchestrieren und ihrer Plastic-Musik eine hymnische Wucht zu verleihen. Auf ‘Fundamental’ werden über Electro-

Beats wiederum billige Synthi-Klänge durch Streicher veredelt und aufgebauscht zu bombastischen Klangwolken, die

in ihrer epischen Fügung an Musicals erinnern. Dieser bald luftig schwebende, bald triefend seichte Sound, dem der

stilbildende Produzent Trevor Horn räumliche Tiefe und ein warmes Timbre verliehen hat, erweist sich als

flauschiges Unterfutter pointierter Lyrics. Wo Tennant sich früher vorab durch poppige Parolen profilierte,

setzt er immer öfter auf Metaphern, Rollenspiele und auf eine quasi erzählerische Prosa (z. B. in ‘I Made My

Excuses And Left’). Auf verblüffende Weise gelingt es ihm, schillernde Worte in einen lakonischen Stil zu fassen

– ‘Casanova in Hell’ ist ein Beispiel: In einem quasi kulturtheoretischen Song wird geschmeidig erzählt, wie der

alternde Casanova als Autor seiner eigenen Frauenheld-Legende über seine körperliche Impotenz obsiegt.



Sie hätten mitunter versucht, sagt Tennant, ernste Themen aus angestammten Kontexten zu lösen und in eine Form

zu bringen, in der man darüber lachen könne. Zwischen triumphalen, hymnischen Klängen und elektrisierenden Versen

blitzen Witz und Scharfsinn auf. Andere Songs wiederum, die mehr das Bedürfnis nach tanzbaren Grooves bedienen,

fallen, für sich genommen, zwar ab – in der Menufolge der Stücke indessen dienen sie der Spannung und Dynamik.

Ebenso wichtig wie Ironie sei ihnen auch die Dramaturgie des Albums, sagt Tennant. Letztes Jahr haben sie mit

einen technoiden Soundtrack zu Sergei Eisensteins Stummfilmklassiker ‘Panzerkreuzer Potemkin’ von sich reden

gemacht. Jene Arbeit habe ihre Sinne geschärft für formale Geschlossenheit.



‘Fundamental’ thematisiert die ‘Atmosphäre der Angst’, die laut Tennant die USA und Europa seit 9/11 bestimmt.

Die Angst aber, findet der Popsänger, werde von westlichen Regierungen ausgenützt, um den letzten anarchistischen

Tendenzen in unseren demokratischen Gesellschaften beizukommen: ‘Immer mehr gleicht der Westen dem chinesischen

System mit einem freien Markt und einem autoritären Regime.’ Dagegen will er ansingen. Das erste Lied,

‘Psychological’, klingt wie eine Art szientistische Anleitung: Die Psychologie kann erklären, wie Angst zur

‘second nature’ wird.



Eine Lektion in Geschichte ist dagegen ‘Twentieth Century’. Das 20. Jahrhundert habe gezeigt: ‘Sometimes the

solution is worse than the problem.’ In ‘The Sodom And Gomorrah Show’ werden ‘Sun, sex, sin, divine intervention,

death and destruction’ geboten; das kunterbunte Amusement erweist sich hier immerhin als Chance, sich mit dunklen

Seiten des Lebens auseinanderzusetzen: ‘You’ve got to love, to learn to live, where angels fear to tread’ –

man soll dort zu leben lernen, wird gesungen, wo sich Engel dünn zu machen pflegen. In ‘Luna Park’, einer Metapher

des ‘American way of life’, singen die Pet Shop Boys von der Entertainment- Kultur, die Ängste als Genuss

aufbereitet, von wirklichen Gefahren aber ablenkt. Und auf ‘Integral’, dem letzten Stück des Albums, schlüpfen die

Pet Shop Boys in die Rolle diktatorischer Machthaber à la ‘1984’, die, um Konformität zu erlangen, die Individuen

überwachen: ‘We’re moving to a situation, where your lives are simply information.’




Blair meets Bush




Dass sich die Kritik am Zeitgeschehen auf konkrete Figuren des politischen Geschehens richtet, beweist ‘I’m with

stupid’, die erste Single-Auskoppelung. Hier nehmen die coolen Briten Tony Blairs Hörigkeit gegenüber dem

amerikanischen Präsidenten aufs Korn: ‘See you on the TV, call you every day, fly across the ocean, just to let

you get your way’, heisst es. Tennant macht kein Hehl daraus, dass er hier, in seinem satirischen Polit- Song,

Blair mit Bush sprechen lässt; die Fortsetzung: ‘No one understands me, where I’m coming from, why would I be

with someone who’s obviously so dumb?’

Taken from: Neue Züricher Zeitung
Interviewer: Ueli Bernays