Schrei anch Liebe






Die Pet Shop Boys sind das erfolgreichste Popduo der Welt. An ihre Dancefloor-Klopfer wie ‘Go West’ und ‘New York City Boy’

erinnert auf ihrem neuen Album allerdings wenig. ‘Release’ zeigt ein neues Gesicht von Neil Tennant und Chris Lowe – was

sich bereits bei ihrem Konzert in der Live Music Hall im Februar angekündigt hatte: ‘Pet Shop Boys go Britpop’ lauteten

die Schlagzeilen nach dem Kölner Club-Gig. Weniger Beats, mehr Gitarren – das ist der aktuelle Leitfaden der Pet Shop Boys.



Neil Tennant und Chris Lowe wollen mit dem neuen Album zeigen, dass sie ‘richtige’ Musiker sind, und nicht nur ‘zwei Typen,

die sich hinter Make-up und Perücken verstecken’ (Tennant). Denn obwohl das Elektronikduo seit über 16 Jahren mit ihren Alben

und vor allem mit ihren Singles die Charts auf der ganzen Welt dominiert, wurde ihm jahrelang der musikalische Respekt

verweigert, jammert Sänger Neil: ‘Wenn du auf der Straße die Leute fragen würdest, wer die Pet Shop Boys sind, dann antworten

sie alles Mögliche, nur nicht, dass wir Musiker sind. Und so erzählt der ehemalige Mitarbeiter der englischen Teenie-Zeitung

‘Smash Hits’, das zum Beispiel Boy George richtig geschockt war, als er bei einer gemeinsamen Aufnahme Neil am Piano sah.

‘Er dachte immer, andere würden für uns die Musik schreiben und einspielen. Dabei haben wir immer alles selbst gemacht.’

Und auch für ‘Release’ haben die beiden fast alles selbst eingespielt – nur mit dem Gitarrensound waren sie nicht zufrieden.

Also baten sie den ehemaligen Smiths-Gitarristen Johnny Marr ins Studio. Sogar der melancholische Geist Morrisseys schwebt

über einigen Songs. ‘Du hast Recht. Morrissey könnte sicherlich »Love is catastrophe« singen’, gibt Neil Tennant nach langem

Zögern zu. ‘Es passierte etwas Unglückliches in meinem Leben und das hört man dann wohl auch. Nur Morrissey ist ein Typ, der

in Trauer versinkt, während ich da doch ein wenig anders bin.’



Zumindest hat der 47-jährige Tennant denselben zynischen Humor. In ‘I get along’ macht er sich darüber lustig, dass Tony

Blair seinen Sekretär und alten Kumpel Peter Mendelsson gefeuert hat. Die Pet Shop Boys machen daraus einfach ein Liebeslied.

Noch provokanter ist aber ein Lied über Eminem (‘The night I fell in love’). Nachdem der US-Rapper vergangenes Jahr die

Schlagzeilen beherrschte und sich extrem abfällig über Homosexuelle äußerte, überlegte sich Neil genau über dieses HipHop-Klischee

zu singen: ‘Ich fand die Idee lustig, einen Song zu schreiben, wo ein Junge nach einem Konzert in den Backstage-Bereich geht

und feststellt, dass der Rapper schwul ist. Sie schlafen miteinander und der Junge findet den Rapper äußerst sympathisch.’

Die Ideen für den Text hat er von einer Internet-Seite geklaut, gesteht Tennant : ‘Auf groupie¦central.com schreiben Groupies

über ihre Erfahrungen mit Stars. Das ist sehr interessant, vor allem die Storys, die über nette Erlebnisse mit Eminem berichten.’

Die beiden Engländer mögen Eminem – im Prinzip: ‘Er ist der klassische Rockstar, wie früher Elvis. Und er repräsentiert Amerika,

die guten und die schlechten Seiten des Landes, meistens aber die schlechten.’



Schwulenhass, ob verkappt oder gutbürgerlich, ist aber nicht nur ein amerikanisches Phänomen. Das mussten die Pet Shop Boys

selbst erfahren. Denn ihre Musical-Produktion ‘Closer to heaven’ handelte von der Londoner Schwulenclub-Szene und dreht

sich vor allem um Drogen und Sex. Während die meisten Zuschauer positiv reagierten, berichtete zumindest die englische

Pesse eher verklemmt-zurückhaltend, bedauert Neil: ‘Die Briten mögen nette, anschmiegsame schwule Männer, die aber bitte

schön nie Sex haben.’ Mittlerweile arbeiten Neil und Chris bereits an einem neuen Musical. Aber zunächst stehen erst einmal

einige Festivalauftritte und eine Clubtour im Herbst an.



Einer Sache ist sich Neil Tennant sicher – das neue Album wird die Fans zufrieden stellen, auch wenn es nicht ganz so

typisch nach Pet Shop Boys klingt: ‘Viele unserer Songs werden von vielen Leuten oft erst nach Jahren als gut empfunden.

Das ist dasselbe wie mit David Bowie. Sein Album »Low« interessierte damals keine Sau. Jetzt sagt jeder, dass er das Album

schon damals herausragend fand. Wir haben einen großen Back-Katalog, und ich glaube es gibt immer noch einige Leute, die uns

erst in einigen Jahren entdecken werden.’

Taken from: Kölner Stadt Anzeiger
Interviewer: Ralf Kennel