Revolutionäres von den Pet Shop Boys

Auf der Bonner Museumsmeile bewiesen die


Pet Shop Boys am Samstagabend, dass sie mehr können


als Elektropop im Dreiminutenformat. Zusammen mit den


Dresdner Sinfonikern präsentierte das Duo seine


Livevertonung des Stummfilms ‘Panzerkreuzer Potemkin’.




Kinoklassiker gucken, eines der erfolgreichsten Popduos der Welt erleben und dazu noch einem kompletten Sinfonieorchester lauschen. Dank Sergej Eisenstein,

Neil Tennant und Chris Lowe ist dies in Bonn an einem einzigen Abend möglich geworden. Erstgenannter ist Regisseur des 1925 gedrehten Stummfilmklassikers

‘Panzerkreuzer Potemkin’. Letztgenannte, besser bekannt unter dem Namen ‘Pet Shop Boys’, haben Eisenstein beim Wort genommen. Denn der russische Filmemacher

forderte einst, jede Generation solle ihre eigene Musik zu seinem Werk kreieren. ’72 Minuten Non-Stop-Musik zu schreiben, und nicht nur einen gewöhnlichen

Song – so etwas hatten wir vorher nie gemacht’, beschreibt der 51-Jährige Neil Tennant die Ausgangssituation vor der Zusage für das ungewöhnlichen Projekt

im Jahr 2003. Ein Jahr später feierte das Duo dann auf dem Londoner Trafalgar Square vor 25.000 Zuschauern die erfolgreiche Premiere seines

Soundtrackspektakels. In diesen Tagen gastieren die beiden zusammen mit dem 26-köpfigen Dresdner Sinfonieorchester an vier Abenden in Deutschland.




‘Unsere Musik ist respektlos’




‘Rhythmus, Rhythmus, und vor allem reiner Rhythmus’ soll Eisenstein als wichtigstes Merkmal für die Filmmusik zu seinem historischen Revolutionsdrama

über eine meuternde Kriegsschiffbesatzung gefordert haben. Und es scheint, als seien die Pet Shop Boys seinem Wunsch mit größtem Vergnügen gefolgt. Der

pompöse, teils hämmernde Elektrosound, mit dem die beiden Musiker schon seit Beginn der 80er Jahre weltweit erfolgreich sind, schafft es an vielen Stellen

des Films, die Wirkung der schwarzweißen Bilder noch erheblich zu verstärken.



Nur manches Mal, vor allem in den wenigen Momenten, in denen sich Tennants markante Stimme erhebt, verblasst Eisensteins propagandistisches Meisterwerk,

und stattdessen drängen sich ‘West End Girls’-Assoziationen in den Vordergrund. Bemerkenswert hingegen, wie z.B. ein bedrohlich peitschendes

Elektronikstakkato, das die beiden Musiker zur Seeschlacht am Ende des Films komponiert haben, den Bildern zusätzliche Dramatik verleiht, ohne sich nach

vorne zu drängen. Für Chris Lowe ist beiderlei Effekt erwünscht: ‘Unsere Musik ist zeitweise sogar recht respektlos dem Film gegenüber. Aber nicht zum

Selbstzweck, sondern um der ehrfurchtsvollen Starre etwas entgegensetzen zu können, so dass der Film auch heute noch Sinn macht.’




Kein einziger Hit




Die beiden Musiker sehen Eisensteins Werk, das in den vergangenen 80 Jahren höchst unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen hat, am ehesten als

Protestfilm. Tenannt ist überzeugt: Eisensteins Film ist für seine Zeit revolutionär. In Russland diente der Film lange Zeit der staatlichen Propaganda.

In vielen europäischen Staaten wurde er hingegen zensiert. Der nationalsozialistische Propagandaminister Goebbels war sogar entsetzt und entzückt zugleich.

Dem Volk untersagte er, ihn anzuschauen, von den deutschen Regisseuren verlangte er, ihm ‘einen deutschen Potemkin’ zu liefern.



Die Zuschauer in Bonn waren am Ende größtenteils begeistert, ganz egal ob sie eher wegen des Film oder des Popduos gekommen waren. Doch selbst die

minutenlangen Standing Ovations der Fans, von denen einige sogar aus England angereist waren, konnten die Pet Shop Boys nicht umstimmen: Der Abend mit

ihnen endete höchst ungewöhnlich, nämlich ohne dass sie einen einzigen ihrer Hits gespielt hatten.

Taken from: WDR.de
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