Revolution Can Be Fun






Um halb neun falte ich meine Zeitung zusammen, es wird zu dunkel. Seit einer Stunde sitze ich auf einem künstlichen Rasen vor der Alten Nationalgalerie

in Berlin. Zuerst hatte ich einen Asterix — Band zu Ende gelesen und dann ein wenig die Zeit. Nicht dass noch jemand denkt, ich wäre hier fehl am Platze.

Ich sitze an der Grenze von denen, die vor der Bühne stehen, und dem weiten Feld Sitzender hinter mir. Sind das eigentlich alles Fans? Einige Gesichter

kannte ich schon. Bin ja auch Fan. Aber andererseits, wer hier hat denn noch die neue Platte von Jens Friebe im Rucksack? Ich bilde mir ein, ich wäre

anders. Bin ich natürlich auch. Die homogene Fanmasse ist eh nur ein Gerücht. Doch die Frage ist berechtigt. Was machen die ganzen Fans der Pet Shop Boys

hier? Immerhin kommt gleich ein Stummfilm.



Offensichtlich soll die Musik heute die Hauptrolle spielen. Und den Eindruck erweckt auch die Flut kommentierender Berichte in den letzten Tagen. Dass

die Dresdner Sinfoniker mitspielen ist großartig und auch die Pet Shop Boys treffen meist den passenden Ton. Die Kritiker fragen sich: Warum singt Tennant

‘How come we went to war?’ zum Treppenstufen-Massaker — und meinen den Irak-Krieg. Die eigentliche Antwort liefert der Film in seiner ersten Texteinblendung:

,Revolution ist Krieg. Es ist der einzige gerechtfertigte Krieg.’ Das sich die Diskussion nur um die Musik dreht, wird dem Gesamtresultat nicht gerecht.

Es könnte fast stören, die Pet Shop Boys dabei live zu sehen. Und als hätten sie das geahnt, verstecken sie sich hinter Laptops und einem halbtransparentem

Vorhang.



Wer sich auf den Film konzentriert, die Musik nur hört, der vergißt das Spektakel. Dann ist unsere an Musikvideos geschulte Generation in ihrem Element

und Film und Musik wirken wie füreinander bestimmt. Wie alt war Panzerkreuzer Potemkin nochmal? Der Film wirkt ungeheuer modern, die elektronischen

Klangteppiche aufregend intensivierend. Das Orchester aus Dresden sorgt für zusätzliche Dramatik — auch oder gerade weil es nur sporadisch zum Einsatz

kommt. Was denken wohl die Sinfoniker, wenn sie warten, während die Pet Shop Boys ihre Laptops überwachen?



Die Musik spielt hier die zweite Hauptrolle. Und die spielt sie furios, in Bestform sozusagen. In ihren Höhepunkten minutenlang Gänsehaut.



Am Ende gibt es Applaus. Dann fällt der Vorhang und einer der wenigen Songs aus dem Film wird als Reprise wiederholt. Nocheinmal Gänsehaut, auch ohne Film.

Dann wieder endloses Klatschen. Neil Tennant kommt erneut, ist gerührt, ‘Wir sehen uns nächstes Jahr!’ Das Klatschen will nicht aufhören. Die Sinfoniker

wirken verunsichert. Ist das der typische Tribut wie in den Opern- und Konzertsälen? Oder will man nocheinmal die Pet Shop Boys hören? Als das Klatschen

dann doch verstummt, raunt eine Frau vor mir: ‘Frech! Spielen die tatsächlich keine Songs.’ Ein weiterer Fan schwärmt für den rbb vom Konzert und vermutet,

dass die Musik sicher auch ohne Film funktioniert. Einer anderer ist dann doch enttäuscht. Von der Musik? ‘Ne, die Organisation. Das hat so einen hohen

Anspruch und dann diese winzige Leinwand.’ Inzwischen sind die Stars schon weg und ein Grüppchen Fans wartet vergeblich am Backstage-Eingang. Das hier

war kein Pop-Konzert.

Taken from: Justmag
Interviewer: Jörg Dietrich