Der eine der beiden Samurai muss schon wieder gähnen. Während das Blitzlichtgewitter über die silbrig Uniformierten, die wohl eher einem futuristischen Comic als einem japanischen Geschichtsbuch entsprungen sind, hereinbricht, lümmelt sich der eine gelangweilt im Ledersessel, rückt die Sonnenbrille zurecht. Der andere blickt mit starrer Mine in die Objektive. Fünf Minuten, dann ist der Spuk vorbei. Nur das Profil hat Chris Lowe den Fotografen aus aller Welt gezeigt, während Neil Tennant das Schauspiel vor sich immerhin beäugt. Die Dramaturgie will es so. Die Pet Shop Boys wissen, wie sie sich selbst am besten in Szene setzen. Unnahbar. Distanziert. Und exzentrisch.
Das Museum für Ostasiatische Kunst in Köln. Kurz vor der Audienz der angegrauten Pop-Heroen schiebt Dainton Connell seinen massigen Körper vor den Zugang ins Allerheiligste, legt die schwere Pranke vor jede Kameralinse, wenn der Auslöser verräterisch und unerlaubt klickt. Seit acht Jahren schon bewacht das Schwergewicht mit den vielen Narben den Sänger Tennant und den Soundtüftler Chris Lowe. Zusammen haben diese seit 1984 mehr als 24 Millionen Tonträger weltweit verkauft. Und längst hat es sich herumgesprochen: Nach nahezu drei Jahren Pause kehren die Pet Shop Boys nicht nur ins Rampenlicht, sondern auch auf die Bühne zurück.
Ausgerechnet am Aachener Weiher stellen sie ihr neues Album ‘Nightlife’ vor, das am 11. Oktober erscheint. ‘Diesmal bildet alles eine Einheit’, sagt der 45jährige Tennant und deutet auf die militärischen Uniformen und die gelben Zottelmähnen, die der japanische Modezar Issey Miyake nach dem Vorbild der Samurai für die Videoclips und die bevorstehende Tournee entworfen hat. Streng und kühl soll es sein, das neue Image des gealterten Exzentrikergespanns. Macht das Handwerk eigentlich noch Spaß? ‘Sicher’, meint Texter und Sänger Neil Tennant, ‘denn Popmusik ist Magie, und Songs zu schreiben eine wahre Party: Morgens habe ich eine halbe Zeile im Kopf. Abends plötzlich ist ein neues Stück fertig.’
Mit ‘Nightlife’ besinnen sich die Pet Shop Boys auf die guten alten 80er, die simplen Melodien und die damaligen Ideale der ‘New Romantic’-Bewegung ohne sich dabei zu wiederholen. 16 Stücke haben sie für die neue Epoche geschrieben. Die Zungenbrecher-Single ‘I Dont Know What You Want But I Cant Give It Any More’ läutete sie im Juli ein, gefolgt von der September-Auskopplung ‘New York City Boy’, einer Nummer mit Männerchor.
‘Nightlife’ das ist ein Album voller gradliniger Melodien, unterlegt mit Lowes Soundteppichen aus der Maschine. ‘Wir wollten so elektronisch wie möglich klingen’, beschreibt Tennant den Charakter der Platte, ‘und dies mit Orchestereinsetzen kontrastieren.’ Auf der Platte zu finden ist auch der Song ‘In Denial’, ein Duett mit Kylie Minogue. Dazu gibts die flehende Ballade ‘The Only One’, das zynische ‘You Only Tell Me You Love Me (When Youre Drunk)’, das poppige ‘Footsteps’ oder der Dancefloorfeger ‘Vampires’. Er ist den Gestalten der urbanen Nächte gewidmet.
Kein Wunder, dass Chris Lowe mit dem Gähnen plötzlich innehält, als sein Lieblingswort fällt ‘Nightlife’. ‘Ja, ich ziehe immer noch durch die Londoner Clubs’, verrät der 40jährige Tastenzauberer. ‘Manchmal beginnt mein Nachtleben am Freitag Abend und endet Montag Morgen in der Frühe.’ Popsongs und Club-Hymnen habe er schon immer geliebt, erzählt er, plötzlich redselig, doch dass er selber mal welche schreibe würde, hätte Chris Sean Lowe niemals zu glauben gewagt. So hatte er sich 1978 an der Liverpooler Universität für ein Architektur-Studium eingeschrieben, für das er sogar ein einjähriges Praktikum absolvierte davon zeugt heute noch eine Treppe im einem Industriegebäude von Milton Keynes. Eine Zufallsbekanntschaft an der Londoner Kings Road sollte dann Lowes Leben gehörig verändern.
In einem Elektronikfachgeschäft trifft er auf einen gewissen Neil Francis Tennant, der zuvor die Polytechnic-Hochschule im nördlichen Bezirk der Themse-Metropole mit einem Examen in Geschichte abgeschlossen hatte, um dann bei einem Comic-Verlag zu arbeiten. Zur besagten Zeit aber schreibt Tennant bei der Jugendzeitschrift ‘Smash Hits’ als Redakteur und bescheinigt einer anderen Band, die sich ebenfalls den synthetischen Klängen aus dem Computer verschrieben hat, durchaus Talent. Besagte Band ist übrigens Depeche Mode. Lowe und Tennant entdecken die gemeinsame Liebe für Dancemusic, nennen sich zunächst ‘West End’, dann ‘Pet Shop Boys’. ‘Der Name sollte nach einer englischen Rapgruppe klingen’, erinnert sich Tennant.
Für den Debütsong ‘West End Girls’, im April 1984 erstmals veröffentlicht, interessieren sich jedoch nur die Nachtschwärmer in Los Angeles und San Francisco. In Europa kauft die Scheibe kaum jemand. Erst als sich Produzent Stephen Hague, mit dem die Pet Shop Boys noch heute arbeiten, des Ohrwurms annimmt, wird er ein Hit und erreicht im Januar 1986 die Spitzenposition der britischen Charts, im April dann die der amerikanischen Hitlisten. ‘Die Zeit war günstig für uns’, sagt Lowe. ‘Damals war es ein Vorteil, kein guter Sänger oder kein guter Musiker zu sein so war das in den 80ern.’ Deshalb solle Tennant Stücke wie die Pet Shop Boys-Version von ‘Somewhere’ aus der ‘Westside-Story’ besser nicht live singen.
Trotzdem blicken die Briten heute, sechs Alben später, auf unzählige Single-Erfolge und Projekte mit Liza Minelli, Dusty Springfield, David Bowie oder auch Tina Turner zurück. Mit Kompositionen wie ‘Suburbia’, ‘Its A Sin’, ‘Domino Dancing’, ‘Being Boring’, dem Presley-Cover ‘Always On My Mind’, ‘Go West’ oder ‘Se á Vida e’ aus dem latino-poppigen Album ‘Bilingual’ haben sie sich in den Musikannalen verewigt. Gereist sind sie aber nie gerne. Die letzte ‘Discovery’-Tournee, eine von zweien, liegt fünf Jahre zurück und führte durch Australien, Asien und Südamerika. Deutsche Stopps wurden angeblich wegen der überhöhten Steuern abgesagt.
1997 dann kamen die Fans zu den Stars und nicht umgekehrt: 15 Abende hintereinander spielten die Pet Shop Boys, die derzeit ein Musical komponieren, im Londoner Savoy Theatre jede Show war ausverkauft. Und wenn die Pet Shop Boys am 22. November in Frankfurt zur Europa-Tour aufbrechen, haben ihre Rowdies einige Tonnen Stahl zu wuchten. Die Londoner Architektin Zaha Hadid nämlich entwarf die mächtige Bühne für die ‘Nightlife’-Shows. Tennant: ‘Dazu mussten natürlich auch die Songs passen, wir haben sie neu und vor allem sparsamer arrangiert.’ Hits aus allen Alben, von ‘Please’ (1986) bis hin zum letzten Werk, sind bei den Live-Gastspielen zu hören. ‘Der ganze Auftritt soll abstrakt wirken’, erklärt Neil Tennant dem Premierenpublikum der ‘Nightlife’-Präsentation.
Wer aber sind die Menschen hinter diesem Kunstprodukt? Tennant zuckt die Schultern. ‘Das steht doch alles in den Songs. Wer wissen will, wer ich bin, soll zuhören.’ Ist er wirklich so ein ironischer Mensch, wie seine Zeilen vermuten lassen? Da wird der Sänger energisch. ‘Nein. Die Pet Shop Boys werden immer missverstanden.’ Und überhaupt sei Madonna doch viel interessanter als er und Chris Lowe. Der nickt bestätigend. Und gähnt.
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Interviewer: Jens Höhner