POP in Großbuchstaben

Das britische Duo Pet Shop Boys zeigte am Mittwoch in München nach jahrelanger Live-Pause wieder,

wie Pop zu einem perfekten Kunstwerk gemacht wird




Es gibt viele Kleinkrämer im Popgeschäft. Und es gibt ein paar, die in Großbuchstaben schreiben. In über-Schriften.

In Plakatdimensionen. Die Pet Shop Boys – Neil Tennant und Chris Lowe – halten sich nicht mit Kleinigkeiten auf.

Ihre Kunst ist eine große. Ihre Werke sind Symphonien. Ihre Haltung ist Ironie. Ihr Ausdrucksmittel das perfekte

Styling.



Mit ‘West End Girls’ eröffnen sie den Abend im Münchner Zenith. Mit diesem Song hat alles angefangen vor 15 Jahren.

‘Wir singen heute Lieder, die uns viel bedeuten. Und wir hoffen, sie bedeuten auch euch etwas’, sagt Sänger Tennant.

Eine rhetorische Hoffnung. Schließlich spannen sie den Bogen über eineinhalb Jahrzehnte, in denen sie den Dancefloor

entscheidend in Bewegung gehalten haben. In denen sie aber nicht aus dem Untergrund neue Strömungen gestaltet haben,

sondern immer an der Spitze der Charts gesagt haben, wohin der Tanz zu führen hat.



Langsamkeit ist dieses Mal Prinzip. Schreiten und schlendern statt hüpfen und toben. Die Bühne der Londoner

Star-Architektin Zara Hadid strahlt dazu monumentale Kälte aus. Eine Rampe, hinter der sich ein abgewinkelter Block

erhebt. Wie ein Eisberg, der als optischer Blickfang aus dem wogenden Meer synthetischer Breitwand-Sounds ragt. Ein

weißer Riese, der nur selten erwärmt wird von flimmernden computeranimierten Bildfetzen.



Tennant und Lowe sind die einzigen Herrscher in dieser Einsamkeit, in dieser verwaisten Zone. Keyboard-Programmiermeister

Chris Lowe – immer Sonnenbrille, immer nie eine Bewegung – ist seine Starrheit nie schwer gefallen. Er könnte gut auch

hinter der Bühne stehen, von wo aus Keyboarder und Musikdirektor Peter Schwartz agiert. Einziger Mitmusiker auf der

Bühne ist ein Perkussionist. Vier schwarze Sänger bringen – verkleidet als Matrosen, Bauarbeiter oder Gospelchormitglieder –

Seele und Bewegung auf die Bühne. Und freilich ist auch diesmal Sylvia Mason-James als kräftige Frauenstimme dabei.



Jeder Schritt sitzt. Jede Geste erzielt ihre Wirkung. Jeder Takt stimmt. Die Mission lautet, ein perfektes Popkunstwerk

zu schaffen. Sonst würden sie ohnehin scheitern. Die Pet Shop Boys sind keine charismatischen Unterhalter, keine

Strahlemänner, keine Musikarbeiter. Sie sind Soundtüftler. Baumeister einer klar strukturierten Welt.



Im Gegensatz zu bisherigen Tourneen ziehen sie diesesmal aber kein theatralisches Gesamtkonzept durch. Ganz

bewusst treten Brüche zwischen die Songs – zum Teil in Remix-Varianten dargeboten. In diesen Schlupflöchern

entsteht statt Künstlichkeit Platz für die Menschen hinter den Boys. Tennant sucht den Kontakt zum Publikum.

Er schüttelt Hände. Und was kann man erkennen!? Schweiß. Also doch einer wie wir alle. Ganz sicher ist man, als

beide ihre gelben Igelperücken abnehmen. Für einen kurzen Moment, vor dem Abgang in die Pause, lassen sie ihre Phil

Collins-Haarpracht erkennen und untergraben ihr Kunstobjekt mit der Wirklichkeit.



Die Brüche in der Hitabfolge ergeben geplante Stimmungswechsel. Hier fließt nichts einfach nur dahin. Hier wird

Abwechslung erzeugt. Die Reaktion wird einkalkuliert. Nahtlose Perfektion endet eben nicht am Bühnenrand.



Als Tennant zu ‘What Have I Done To Deserve This?’ anhebt – die Hommmage an die im März verstorbene Dusty Springfield,

die natürlich per Video mitsingt – herrscht fast Andächtigkeit. ‘Discoteca’, ‘New York City Boys’, ‘Always On My Mind’

und ‘It’s A Sin’ sind wenig überraschend die Stimmungshöhepunkte. Das Village-People-Cover ‘Go West’ entlässt

schließlich als Zugabe mit allem, was sie haben: stadionfüllende, opulente Klangozeane, Pathos, Ironie für die

(Pop-)Geschichte – in Großbuchstaben: BESTEN POP.

Taken from:
Interviewer: Bernhard Flieher