Pop darf nicht zu clever sein






Zu viel Intelligenz wirke sich kontraproduktiv auf die Popmusik aus, sagen die Pet Shop Boys. Dabei verbindet das britische Duo seit mehr als 25 Jahren clevere Texte und eingängige Melodien. Für die visuell durchdachten Shows genießen Neil Tennant und Chris Lowe auch in der Kunstwelt Kultstatus. Nach ihrer elektrosinfonischen Neuvertonung des Stummfilmklassikers ‘Panzerkreuzer Potemkin’ kommen Neil Tennant und Chris Lowe am Donnerstag in den Stadtpark – mit Pop in Reinkultur.




MOPO: Wie viel Intelligenz verträgt die Popmusik?




Neil Tennant: Manche Popstars würden jetzt vermutlich antworten, dass Intelligenz ein Hauptbestandteil von Pop ist. Aber ich würde eher behaupten, dass auch ein gutes Stück Banalität dazugehört. Popmusik kann auch schmerzhaft dumm wirken, wenn ihre Verfasser sich zu clever gebärden. Guter Pop ist unterhaltend, banal und intelligent.




MOPO: Muss man sich angesichts der Vielfalt, die schwule Stars wie Mika, die Scissors Sisters oder die Pet Shop Boys präsentieren, auch von der Idee verabschieden, dass es eine ‘schwule Popmusik’ gibt?




Tennant: Ich halte den Begriff ‘schwule Musik’ für ein heterosexuelles Konstrukt: Wer von ‘schwuler Musik’ redet, drückt lediglich wohlwollend seine Homophobie aus, weil er kategorisiert. Ich möchte weder in der schwulen, noch der islamischen oder irgendeiner anderen Gemeinschaft leben. Musik von homosexuellen Künstlern ist so vielfältig wie der Geschmack von Homosexuellen. Nicht alle Schwulen lieben Kylie Minogue.




MOPO: Andererseits galt Disco lange Zeit als Befreiungssound der Farbigen und Schwulen.




Tennant: Schwule Gemeinschaften sind vor dem Hintergrund von Unterdrückung entstanden. Unterdrückung hat meist eine eigene Kultur zur Folge. Aus der Unterdrückung der Schwulen sind Disco und House entstanden, die aber längst allen Menschen gehören. Heute leben wir in einem viel liberaleren Klima, was Klischees und Stereotype hinfällig macht.




MOPO: Also gehen von Schwulen auch keine neuen, kulturellen Impulse mehr aus.




Chris Lowe: Schwulsein ist Teil der zeitgenössischen Kultur in der westlichen Welt. Die konservative Tory-Partei in England sucht händeringend nach schwulen Kandidaten, weil Schwulsein als etwas Positives betrachtet wird. Dass es in Hamburg und Berlin schwule Bürgermeister gibt, zeigt, dass Homosexualität nicht mehr aufsehenerregend ist. Da bleibt es abzuwarten, ob künftig Impulse von der Schwulenszene ausgehen werden.




MOPO: Aufsehenerregend ist Ihre neue Live-DVD ‘Cubism’, die ein Konzert Ihrer offenbar niemals endenden Tournee zeigt. Wollen Sie Bob Dylan Konkurrenz machen?




Tennant: Wir hatten vor, unserem letzten Album ‘Fundamental’ eine Welttournee folgen zu lassen. Und damit meinen wir nicht nur eine paar Konzerte hier und da. Und wir präsentieren unsere Songs auf der Bühne halt nicht bloß mit ein paar bunten Lichtern auf der Bühne. Aber bitte erklären Sie Ihren Lesern jetzt nicht, dass wir eine Multimedia-Show machen werden. Das klingt viel zu clever. (lacht)




MOPO: Das würde auch wieder Kunst im Pop suggerieren.




Lowe: Uns hat die vermeintliche Kluft zwischen so genannter ‘niederer Kunst’ und ‘höherer Kunst’ schon immer gereizt. Ein Pop-Fan kann genauso snobistisch sein wie ein Museumsdirektor.

Taken from: Hamburger Morgenpost
Interviewer: Michael Loesl