Pet Shop Boys immer noch kein altes Eisen

Synthiepop erlebte einen Boom, die Tanzflächen-Abarten


wie Hi-NRG oder Eurodisco kamen und gingen, die Pet Shop Boys blieben.


Jetzt waren sie in Wolfsburg zu Gast.




Die Bühne ist leer. Nein, nicht ganz. Links eine kleine Sitzbank, rechts ein Keyboard mit Bildschirm. Aber sonst: gähnende Leere. Wie manchmal auch bei Tanzabenden, die hier im Kraftwerk Wolfsburg sonst über die Bühne gehen. Aber hier wird gleich ein Popkonzert stattfinden, und man fragt sich: Wie nur? Aber die Spannung ist größer als das Misstrauen, schließlich sind es die Pet Shop Boys, auf die die 1000 Leute hier warten. Und bei denen gab es in den vergangenen 25 Jahren immer was zu gucken.




Licht aus, Musik an, Jubel im Saal. Zwei Herren betreten die Bühne, einer im dunklen Anzug, der andere im gelben Kapuzenshirt – nein, das sind sie nicht, sondern zwei Hilfssänger. Dann wieder zwei in Schwarz und Gelb – das sind sie auch nicht, das sind die Tänzer. Das dritte Pärchen – ja, das sind sie. Chris Lowe tritt an sein Keyboard und macht den Diskobeat an, Neil Tennant kommt nach vorn: „Wir sind die Pet Shop Boys”, singt er auf Deutsch. Dann wäre das ja auch geklärt.




Die Pet Shop Boys sind ein Phänomen. Allein schon deshalb, weil es sie immer noch gibt. Aber auch, weil es ihre Musik immer noch gibt. Mit „West End Girls” – der Titel kommt gegen Ende des Abends – ging die Karriere der beiden Briten Anfang der Achtziger los. Synthiepop, wie man damals sagte, erlebte einen Boom, die Tanzflächen-Abarten wie Hi-NRG oder Eurodisco kamen und gingen, die Pet Shop Boys blieben. Weil sie mehr auf dem Programm hatten als Tasten drücken und Haare föhnen. Weil sie immer eine Mischung zwischen dem politischen Flügel der Szene und Monty Python waren. Weil bei den Pet Shop Boys immer die ironische Selbstbespiegelung zu finden war, die der Szene sonst eher abging. Und weil sie so unendlich viele Hits hatten, die heute alt, aber immer noch kein altes Eisen sind. Diese Art Pop, auch wenn sie aus Plastik ist, ist zäher als man dachte.




Und so spielen die Pet Shop Boys sich an diesem Abend ein bisschen selbst. „It‘s a Sin”, „Suburbia”, „Rent”, „Domino Dancing”, „Se a vida é”, das neuere „Minimal”, „Go West” – das Kraftwerk tanzt. Während Lowe fast regungslos hinter seinem Bildschirmkeyboard steht und man nicht genau weiß, ob er wirklich Töne spielt – oder doch ein Videospiel, macht Tennant den Entertainer. Breitbeinig wie ein Rockstar steht er da und durchdringt die Computerbeats und Synthesizer-Wände mit seiner markanten hohen Stimme. Sie ist frei von jedem Kratzer, makellos und klingt fast selbst wie ein elektronisches Instrument. Mühelos erreicht er auch die hohen Töne, aber sein Gesang ist nicht beseelt, sondern eher freundlich, stilvoll. Und einzigartig in der Popszene.




Tennant führt mit Frack und Zylinder wie ein Conférencier durchs Programm, durch seine eigene Karriere und deren phantasievolle Bebilderung. Denn mit Phantasie, das zeigt der Abend, können drei Sänger, zwei Tänzer, ein paar Kostüme und Requisiten sowie eine Multimediawand eine leere Bühne in einen bunten Zirkus verwandeln. Da vervielfachen sich die Tänzer mithilfe der Leinwand zum Großensemble (was ja auch zu Movimentos gut passt), da illustrieren die Sänger in russischen Wintermänteln oder einer West-Side-Story-Balgerei Tennants Lieder, da flimmern Filmschnipsel über den Bildschirm – oder aus großen Pappköpfen der Pet Shop Boys kommen zu „Always on my Mind” bunte Kasper. Fahrbare Neonröhren sorgen für viel Farbe, und trotzdem wirkt das bunte Spektakel nie aufdringlich oder billig, sondern immer angemessen, ästhetisch, popartig, großartig. Alle haben ihren Spaß, vielleicht auch, weil sich die Pet Shop Boys in dem „extraordinary” Fabrikgebäude in „Woulfsbörg” sehr wohl fühlen, wie sie mehrfach betonen. Sie werden gefeiert. Für den Abend – ach, gleich fürs Lebenswerk. Wer weiß, ob die noch mal wiederkommen.

Taken from: Hannoversche Allgemeine Zeitung
Interviewer: Uwe Janssen