Ein sensationelles Musikprojekt: Bei vier Konzerten in Deutschland setzen die Pet Shop Boys ihre Musik zum Stummfilmklassiker ‘Panzerkreuzer Potemkin’ live um – zusammen mit den Dresdner Sinfonikern. Für den Soundtrack zum 1925 entstandenen Filmklassiker von Sergej Eisenstein verwendeten die Pet Shop Boys einige ihrer alten Songs, aber auch drei neue Tracks. ‘Es ist sehr interessant, wie sich die Wahrnehmung des Films ändert’, erklärt Neil Tennant. ‘Es ist weniger Hintergrund- als vielmehr Vordergrund-Musik. Der Film ist eine Revolution!’ NDR 2 Reporter Daniel Kaiser war live am 5. September im Hamburger Stadtpark dabei – hier seine Konzertkritik!
Ruckelige Bilder vs. geschliffener Sound
Russisches Panzerschiff hin oder her. Die neue Musik zum cineastischen Denkmal ist die reine Lehre der Pet Shop Boys, inklusive Geigen und Synthesizer. Doch statt MTV-Models ziehen russische Matrosen in Schwarzweiß über die Leinwand. Die flackert bisweilen ganz schön stark. ‘Panzerkreuzer Potemkin’ wurde 1925 gedreht. Damals wusste man eben noch nicht einmal, wie man Pixel schreibt. Aber der Kontrast zwischen archaischem Bildmaterial und dem perfekten Klang des neuen Jahrtausends macht den eigentlichen Reiz des Abends aus.
Das Pet-Shop-Boys-Profil kommt dabei besonders an den zentralen Stellen des Films heraus – etwa beim Ausbruch der Meuterei auf dem Panzerschiff. Matrosen sollen erschossen werden, weil sie sich über verfaultes Essen beklagt haben. Die Gewehre sind schon auf sie gerichtet, als die Matrosen beginnen, um ihr Leben zu flehen. Da taucht plötzlich Neil Tennant unter der Kino-Leinwand auf, und seine immerjunge Kopfstimme singt eine gefühlvolle Ballade. Richtig ätherisch und irgendwie ergreifend: ‘Brothers, oh Brothers! Do not forsake us now’.
Diese Balladen markieren die besonders dramatischen Stellen, die Wendepunkte des Films. Und die Moral! Da geht es dann um Freiheit, um: ‘Alle für einen’. Und wer ‘Go West’ im Ohr hat, der weiß, dass für die Pet Shop Boys Pathos kein Fremdwort ist. Manchmal machen es sich Tennant und Lowe dann aber doch ein bisschen zu einfach. Bei Kampfszenen gibt es einen schnellen Disco-Beat. Bei Trauer – na klar – Klavierballaden. Von Filmmusik darf man vielleicht schon einmal erwarten, dass sie nicht nur Stimmungen einfach kopiert, sondern auch einmal mit ihnen spielt, sie konterkariert. Einmal dominiert der stumme Film sogar die bis zum Anschlag aufgedrehte Musik – in einem der wichtigsten Momente der Filmgeschichte: der Treppenszene.
Wuchtige Motive – leichte Untermalung
Der Jubel der Menschen in Odessa über den Aufstand an Bord der Potemkin wird vom Militär brutal beendet. Auf der Hafentreppe werden Männer, Frauen und Kinder einfach so umgebracht. Die stummen Gesichter, die verzerrten Grimassen des Films sind da viel lauter als das ganze Orchester. Die Bildsprache der sowjetischen Regie-Ikone Eisenstein manipuliert den Zuschauer (der Zwanzigerjahre) so geschickt, dass man sofort den Aufnahme-Antrag in die Kommunistische Partei unterschreiben möchte. Leider können die Pet Shop Boys diesem Genius nur eine pathetische Freiheits-Pose entgegensetzen, ein eingängiges Liedchen, das auch beim Grand Prix mit guten Chancen starten könnte, der inzwischen ESC heißt. Schon viele Komponisten haben sich an der ‘Potemkin’-Filmmusik versucht – auch so große Namen wie Schostakowitsch. Mit ihnen wollten sich Tennant und Lowe nicht messen. Sie haben eine leichte Pop-Version geschaffen. Dennoch: Der Panzerkreuzer der Pet Shop Boys ähnelt musikalisch am Ende doch eher einem Kreuzfahrtschiff mit Party auf dem Sonnendeck. Die Musik ist für diesen Film vielleicht doch einen Tick zu leicht verdaulich.
Taken from: NDR Online
Interviewer: Daniel Kaiser