Am Anfang war Kraftwerk. Das wissen natürlich auch die Pet Shop Boys und rufen die Düsseldorfer Pioniere zu Beginn ihres neuen Albums in einem betont reduzierten Electronic-Rocker in Erinnerung, den man in der Form höchstens von ihrem letzten ‘Disco’-Abenteuer kennt. Ein vakuumverpackter Eisfach-Groove und eine einsam schwebende Synthie-Line der Marke Kling Klang stellen den dunkelsten Opener, den die Briten je austüftelten. Auf den Alter Ego-Remix bin ich jetzt schon gespannt!
Monoton und unnachgiebig rotiert der Bass, passend zu Neil Tennants roboterähnlich ausgeführter Analyse des menschlichen Unterbewusstseins. Eine Reminiszenz an den jüngst gefeierten 150. Geburtstag Sigmund Freuds? Warum nicht, und eventuell auch ein Querverweis auf den zu Freuds Lebzeiten florierenden Terminus ‘Psychological’ als Codewort für Homosexualität (‘You’ve got a problem with the reason why / An asymmetric haircut and a painted eye / it’s psychological’). Da ist er wieder, der feinsinnige Texter Neil Tennant, der an späterer Stelle aber auch Manns genug sein wird, erstmals das Wort ‘erection’ in einen Songtext einzubauen.
Doch Moment, ‘Fundamental’ ist doch das erste PSB-Album mit Bombast-Produzent Trevor Horn. Wie passt der ‘Psychological’-Sound denn bitte mit dem Hohepriester des Orchester-Arrangements zusammen? Die Antwort gibt das folgende ‘The Sodom And Gomorrah Show’, eine Mischung aus ‘Where The Streets Have No Name’ und ‘Yesterday When I Was Mad’: massiv euphorischer Dance-Pop, wie ihn nach wie vor nur die Boys zustande kriegen. Die filigranen Gitarrenspuren eines Johnny Marr vom letzten Album darf man hier gerne mit der Lupe suchen. Willkommen zurück, Mister Horn.
Wobei die Annahme, die Briten hätten ein hoffnungslos rückwärts gewandtes Album aufgenommen, ins Leere zielt. Ähnlich wie kürzlich Depeche Mode, halten Neil Tennant und Chris Lowe auf ‘Fundamental’ inne, gestatten sich einen Blick zurück und lassen alte Trademarks mit lässiger Geste hier und da in neuem Soundgewand aufblitzen. Die Qualität des Songwritings hält dabei das hohe Level vom Vorgänger ‘Release’.
Klar, dass auch das Album-Highlight ‘Minimal’ mit ebendiesem Soundkostüm bekleidet wurde, worüber Tennant übrigens erstmals seit dem ‘Shopping’-Refrain von 1987 wieder die Buchstaben des Songtitels runterzählt. Die einfachsten Ideen sind schließlich meist die wirkungsvollsten. Die scheppernden Soundvorlieben des Frankie Goes To Hollywood-Produzenten Horn darf man dagegen dem pompösen Orchesterbeginn der Ballade ‘Numb’ entnehmen, der nicht übermäßig begeisternden Single ‘I’m With Stupid’ und ‘Integral’, der neuen Pet Shop Boys-Stadionhymne.
Beide Songs greifen mit ungewohnt deutlichen Worten ins politische Geschehen ein: ‘I’m With Stupid’ handelt vordergründig von einer Liebesbeziehung, funktioniert aber hervorragend als Persiflage auf das Verhältnis der Kriegstreiber George W. Bush und Tony Blair (‘It’s not about sincerity / everybody knows’). ‘Integral’ richtet sich gegen den autoritären Staat, der zum Beispiel in Gestalt von Großbritannien aus Angst vor terroristischen Übergriffen eine verbindliche Einführung von Personalausweisen durchgesetzt hat. Tennant und Lowe sehen in der Freiheitsberaubung des Bürgers allerdings die falsche Schlussfolgerung in dieser Frage und lassen Blairs heuchlerischen Kommentar in ihrem Refrain weiterleben: ‘If you’ve done nothing wrong, you have nothing to fear.’
Nach dem eher introvertierten Vorgänger von 2002 lässt ‘Fundamental’ nicht zuletzt dank Trevor Horn wieder die Hosen runter, und dort schimmern bei den Boys eben seit 1985 rosa glitzernde Discoshorts bzw. eine rosafarbene CD. Für die besinnlichen Minuten des Lebens schenkt uns das Duo mit ‘I Made My Excuses And Left’ und ‘Casanova In Hell’ obendrein die vielleicht schönsten Balladen seit ‘Love Comes Quickly’. Hinzu gesellen sich Zeilen, über die es sich durchaus mal bei einer guten Flasche Rotwein in Ruhe nachdenken lässt: ‘Sometimes the solution is worse than the problem’ oder auch ‘Is stupid really stupid or a different kind of smart?’ In dieser Verfassung spielen Tennant und Lowe weiter in einer eigenen Liga und verteidigen den Pop-Pott vor jungen und naseweisen Auftsteigern. ‘I hope the music plays forever’, hieß es mal auf einer anderen PSB/Horn-Single. Hell yeah!
Taken from: Laut.de
Interviewer: Michael Schuh