Pet Shop Boys auf Museumsplatz

Die englischen Pet Shop Boys, erfolgreichstes Pop-Duo der Welt,


bringen 3 600 Zuhörer auf dem Bonner Museumsplatz zum Tanzen


Ihre Show hat Seele, sie ist sinnlich, farbenfroh, geistreich


und charmant – Mit einem Wort: mitreißend




Bei ihrem letzten Besuch auf dem Museumsplatz, zehn Monate ist es her, standen die Pet Shop Boys ganz im Dienste

der Filmkunst. Gemeinsam mit den Dresdner Sinfonikern stellten die Musiker ihren Soundtrack zum gleichzeitig

projizierten russischen Kinoklassiker ‘Panzerkreuzer Potemkin’ von Sergej Eisenstein vor. Es war ein schöner

Abend mit prächtigen Leinwand-Revolutionären aus dem Osten; die ‘West End Girls’ hatten spielfrei.



Am Montagabend erschienen Sänger Neil Tennant, der gerade 52 geworden ist, und Elektronik-Zauberer Chris Lowe (46)

erst um halb neun. Da war die spürbare Vorfreude schon hörbarem Missvergnügen gewichen. Das hielt natürlich nicht

lange vor. Tennant (bestatterhaft in Schwarz und ‘bowler hat’) und Lowe (in Neongelb) gaben sich die Hände, die

Tänzer und Mitsänger nahmen ihre Plätze ein, hysterische Hitchcock-Streicher erklangen.



Und dann war es nur ein kurzer Weg von ‘Psycho’ zu ‘Psychological’, dem unwiderstehlich auftrumpfenden ersten

Stück der neuen Platte ‘Fundamental’. Filmreif. Ein guter Pet-Shop-Boys-Song klingt immer nach großem Kino.


Die Pet Shop Boys befinden sich in einer produktiven Phase. Nach dem ‘Panzerkreuzer’ haben sie mit dem Produzenten

Trevor Horn schnell das neue Album erarbeitet; es ist ihre seit Jahren beste Platte. Wie gehabt, kraftwerken die

englischen Musiker auch auf ‘Fundamental’. Lowe lässt es fiepen, blubbern und hämmernd pulsieren. Die Boys laden

zur ‘Sodom And Gomorrah Show’, thematisieren die Erektionsprobleme eines jungen Mannes (‘Casanova In Hell’) und

setzen die lange Linie ihrer Disco- und Clubsongs fort.



Daneben entblößt aber Tennant ein ums andere Mal seine Seele, einer der Chefironiker des englischen Pop wird

unvermittelt ernst. Songs wie ‘I Made My Excuses And Left’ und ‘Numb’, geschrieben von Diane Warren, besitzen

einen bekenntnishaften Charakter.


Seufzende Streicher veredeln in ‘I Made My Excuses And Left’ die Einsamkeit eines Mannes, dem gerade ein anderer

den Liebhaber ausgespannt hat – da geht er eben. Tennant singt das Stück wie ein in die Jahre gekommener

Disco-Dandy, der jetzt am Rande der Tanzfläche steht und im Gewimmel der Tänzer nur noch seine eigene Vergangenheit

erkennen kann.



Im Konzert am Montag gehörte ‘Numb’ zu den emotionalen Höhepunkten. Gefühllos, taub will da einer sein, sich vor

der Welt verkriechen. Die BBC, erzählte Tennant, spielte das Stück, als England bei der WM ausscheiden musste.

‘Numb’ fügt sich wie auch alle anderen im Konzert ausprobierten Stücke des neuen Albums perfekt in den

Pet-Shop-Boys-Kanon ein.


Tennant sieht die Welt mit dem investigativen Bewusstsein des ehemaligen Journalisten. Mit säurehaltigem Zynismus

und näselnder Nonchalance berichtet er in seinen Songs vom Ich-will-nach-oben-Strebertum der Yuppies, von

Teenager-Ängsten und – ein Dauerthema – vom Warencharakter der Liebe, mit besonderer Berücksichtigung des

homosexuellen Milieus. Auch im Bonner Konzert beschwor Tennant Vorort-Paranoia (‘Suburbia’) und Freundschaft

gegen Vorkasse (‘Rent’).


Das Publikum auf dem Museumsplatz fand Gefallen an der heruntergekühlten Schönheit, der lässigen Modernität und

stilbewussten Melancholie der Band. Sie zeigte sich weniger elektronisch steril als in früheren Zeiten. Die Show

hatte Seele, sie war sinnlich, farbenfroh, geistreich und charmant. Mit einem Wort: mitreißend.


Witzige Figuren entsprangen überdimensionalen Lowe- und Tennant-Pappmaché-Köpfen, als die Band ‘Always On My Mind’

spielte. Und Cowboys in Goldlamé stolzierten zu den Klängen von ‘Where The Streets Have No Name (I Can’t Take My

Eyes Off You)’ über die Bühne. Der Platz hatte sich plötzlich in ein Varieté verwandelt.



Die ‘Sodom und Gomorrah Show’ spielte im russischen Militär-Milieu. Und zum Schluss – ‘Go West’ – durfte man

sich fühlen wie in den WM-Stadien 2006.

Taken from: General Anzeiger Online
Interviewer: Dietmar Kanthak