Ohrwürmer…und ein paar Gitarren

Sie sind die bekanntesten Elektropopper


der vergangenen zwei Jahrzehnte. Auf ihrem


neuem Album klingen die Pet Shop Boys aber


erstmals nach einer richtigen Band


– zumindest Ansatzweise




Die ersten Auftritte im Vorfeld der Veröffentlichung von ‘Release’ nahmen es vorweg: Die Pet Shop Boys haben sich

verändert. Anstelle der aufwändig inszenierten Shows von früher mit genau einstudierten Tanzeinlagen und einer

heatralischen Ästhetik boten Neil Tennant und Chris Lowe in England und Deutschland ganz einfache Popkonzerte.

Keine Tänzer, keine Choreografien, keine auffälligen Kostüme, dafür eine richtige Band mit zwei Gitarristen.

‘Es brauchte sechzehn Jahe. bis ich mich erstmals getraute, mit zwei Gitarristen auf einer Bühne zu stehen’,

erzählt Neil Tennant nach einem Konzert in Köln. ‘Und ich habe sechzehn Jahre gebraucht, um auf der Bühne mich

selbst sein, mich frei bewegen zu können. Bisher habe ich bei jeden Ton stes gewusst, wo ich zu stehen hatte,

da jede Bewegung minuziös durchgedacht was. Ich versteckte mich jahrelang hinter der Choreographie.’


Tennant shwor auf dieses Theatralische. Für ihn entsprach ein Popkonzert stes einem Schauspiel. Nach dem letzten

Album komponierte und inszenierte er sogar ein eigenes Pop-Musical, das bei Publikum und Kritik gleichermassen gut

ankam. Nun aber sah man ihn, mit einer akustischen Gitarre um den Hals, in ein schlichtes Hemd gekleidet, entspannt

seine Songs singen. ‘Es was verblüffend zu sehen, wie gut die alten Hits auf Gitarren funktionieren’, sagt Chris Lowe.

‘Sie bekamen plötzlich mehr Kraft, mehr Größe.’


Die Entwicklung vom reinen Elektropop in Richtiung Bandorientiertes, Handgemachtes haben die Pet Shop Boys nicht nur

auf der Bühne, sondern auch auf ihrem neuen Album vollzogen – zumindest im Ansatz. Mancher Song auf ‘Release’ ist

nicht mehr einzig von den typisch schwebenden Klangteppichen aus dem Computer dominiert. Dafür lassen sich sporadisch

akustische Gitarren, Klaviere und echtes Schlagzeug ausmachen. Einige Arrangements klingen sogar, als seien sie in der

klassischen Popformation eingespielt worden. ‘Das hat sich bei der Produktion so ergeben’, sagt Lowe. Zum Teil geht

diese Entwicklung aber auch auf das Konto von Johnny Marr, eines langjährigen Freundes der Band, seines Zeichens Produzent

und Gitarrist der längst verblichenen The Smiths. Er hatte die Pet Shop Boys bereits Ende der 80er-Jahre produziert und

verlieh dem Album im Studio nun den lecht handgespielten Touch. Tennant jedoch relaviert: ‘Das Schlagzeug klingt zwar echt,

es stammt aber einmal mehr aus dem Computer. Mit einema Schlagzeuger zu arbeiten würde bei unserer Vorgangsweise einfach

nicht funktionieren.’


Auf den Zug der zurzeit angesagten New Acoustic Movement (mit jungen Bands wie Kings of Convenience oder Turin Brakes)

habe man auch nicht aufspringen wollen, betont Tennant auf die Frage nach edm akustischen Charakter der Aufnahmen. ‘Das

wäre zu einfach gewesen – und zu billig. Ausserdem sind die Sonds nur in den seltensten Momenten wirklich akustisch.’ Und

auch die Gitarren auf dem Album möchte der mittlerweile 47-jährige Sänger nicht überbewertet haben: ‘Wir setzen sie vom

Sound her eher wie elektronische Inrtumente ein, als glasklare Soundtupfer, und nicht in Form von Rockriffs – noch nicht.’


Der Brite lacht schelmisch, andeutens, dass die Pet Shop Boys in Zukunft für noch mehr Überraschungen gut sein könnten.

Doch das neue Album überrschat nur im ersten Moment. Der elektronische Pop des Duos ist zwar mit neuen Klängen und ungewohnten

dominanten Rhythmusgitarren versehen.Auch wirken einige Arrangements reduzierter und weniger beladen, als man es sich von

Tennant und Lowe gewohnt ist. Bei genauerem Hinhören entpuppt sich ‘Release’ aber dennoch las typischen Pet-Shop-Boys-Werk.

Die Melodiern sind in gewohnter Weise melancholisch und haben bestechenden Ohrwurmcharakter. Insgesamt wirkt das Songwriting

sogar deutlich inspirierter und frischer als noch auf dem reichlich bltuleeren Vorgänger ‘Night Life’ von 1999.


Nach dem gelungenen Opener ‘Home And Dry’, gleichzeitig die erste Single des Albums, reiht sich Ohrwurm and Ohrwurm, wobei

der Charakter des Handgemachten bei der Hälfte des Albums für die Dauer von zwei, drei Songs den altbekannten Synthisounds

Platz macht. In diesen Momenten wird deutlich, dass es letzlich ausgerechnet die neuartigen Sounds sind, die im Gesamtbild

etwas abfallen. Sie wirken stellenweise seltsam dünn, während die aufgeblasenen Sythie-Nummern bei der Hälfte in herrlicher

Räumlichkeit aufblühen.


Kitsch und schwülstige Sounds stehen den Pet Shop Boys noch immer am besten. Dosch Tennant und Lowe wollen die Veränderung.

‘Wir haben schon immer versucht, einerseits nicht auf jeden Trend aufzuspringen, und aber dennoch weiterzuentwickeln, ohne

zwangsläufig das zu tun, was die Leute von uns erwarten’, erklärt Tennant. Der Sänger denkt nach. ‘Ja, ich glaube, das hat

uns den anhaltenden Erfolg gebracht. Was wäre jetzt naheliegender gewesen, als auf die Welle aufzuspringen, die die hippen

französischen Bands Daft Punk und Air ausgelöst hatten’, sagt Tennant. ‘Aber genau das taten wir nicht. Wir setzten lieber

auf andere Töne.’


Dass diese ansatzweise neuartigen, gleichzeigtig aber unverkennbaren Sounds dem Duo einen weiteren Erfolg einbringen werden,

bezweifelt kaum, jemand – es wäre ein weiterer Schritt in einer Karriere, die nunmehr zwei Jahrzehnte andauert. 1981 hattern

siche Tennant, Historiker und Musikjournalist, und der junge Architekt Chris Lowe in einem Plattenladen in London gefunden,

bevor ihnen mit ‘West End Girls’ vier Jahre später der erste Welthit gelang. Von der Fachpresse zunächst belächelt, dann

umjubelt, kreierten die Pet Shop Boys schon früh einen cleveren Stilmix aus melancholischem Pop und eingängiger Dance-Musik.

Und die Serie and Hits riss bis heute nicht mehr ab. ‘Vor sechzehn Jahren dachte ich, dass uns die Inspiration nach wenigen

Alben wieder verlassen würde’, sinniert Tennant. ‘Aber offenbar was dem niocht so. Wir stehen erst am Anfang, und es gibt

noch so viel zu lernen und zu tun.’

Taken from: Zofinger Tagesblatt
Interviewer: Marko Lehtinen