Nein, wir sind keine Melancholiker

Die Pet Shop Boys kommen mit ihrer neuen Show nach Berlin.


Ein Gespräch mit Frontmann Neil Tennant




Im Werk der Pet Shop Boys fließen Pop und Politik auf unterhaltsame Weise zusammen. Das erfolgreichste britische Popduo aller Zeiten beginnt morgen im Berliner Tempodrom seine Deutschlandtournee und präsentiert dabei sein neuestes Bühnenspektakel sowie die neue DVD ‘Cubism’, die am 21. Mai erscheint. Mit Pet Shop Boys-Frontmann Neil Tennant sprach Olaf Neumann.




Berliner Morgenpost: Die Pet Shop Boys haben in der Vergangenheit mit Künstlern und Architekten wie Derek Jarman, Zaha Hadid und Wolfgang Tillmanns gearbeitet. Wer führte Regie bei der neuen Show?




Neil Tennant: Unsere neue Show wurde von der auch in Deutschland sehr bekannten Bühnenbildnerin Es Devlin entworfen. Sie hat bereits an der Hamburger Staatsoper, Wiener Staatsoper, Scottish Opera, English National Opera und am Royal Opera House in London gearbeitet. Die Choreographien stammen von Hakeem Onibudo von der English National Opera. Das Publikum darf sich auf eine astreine Multimedia-Show freuen. Wir bezeichnen das Ganze als einen ‘Abend mit elektronischer Unterhaltung’: Eine Mischung aus Videos und Performances, bei der jeder Song individuell visualisiert wird.




Wollen Sie mit Ihrer Pop-Oper Pink Floyds legendäres ‘The Wall’-Spektakel übertreffen?




Das sollen andere beurteilen. In dem Song ‘The Sodom And Gomorrah Show’ machen wir uns über Militarismus lustig. Dessen Bühnenumsetzung ist zum Schreien komisch. Wir wollen mit Humor gegen furchtbare Dinge wie Krieg und Gewalt protestieren. Ich werde niemals müde, politische Songs zu machen. ‘Integral’ habe ich zum Beispiel geschrieben als ironischen Protest gegen den biometrischen Personalausweis in Großbritannien. Ich will nicht in einem Überwachungsstaat leben.




Hat das Ganze auch eine zentrale Botschaft?




Auf gewisse Weise schon. Es geht dabei um Freiheit. Das war auch schon die Botschaft unseres letzten Albums ‘Fundamental’. In einer Zeit voller Krisen und Spannungen müssen wir unseren Frieden schützen. Die Show ist sehr nah am Puls der Zeit. Sie ist ein Mix aus persönlichen Empfindungen und politischem Kommentar. Dazu gehört auch ein gewisses Maß an Anarchie.




Ist die Show auch so melancholisch wie Ihr aktuelles Album ‘Fundamental’?




Seit ‘West End Girls’ haben wir den Ruf weg, Melancholiker zu sein. Das ist ein großer Irrtum. Ich würde eher sagen, dass unsere Songs auf gewisse Weise philosophisch daherkommen. Wobei ich durchaus akzeptiere, dass meine Stimme unserer Musik eine gepflegte Tristesse verleiht.




Sie haben sich einmal darüber beschwert, dass der Popmusik das Subversive und das Neue abhanden gekommen sind. Wird man diesen Zustand jemals wieder zurückholen können?




Aber sicher. Es gibt immer wieder Bands, die aufregend neu klingen. Ein gutes Beispiel ist die aktuelle Single der Arctic Monkeys, ‘Brianstorm’: Ein zynisches Pop-Monument, das mich an Bob Dylan erinnert. Die gegenwärtige Musikszene klingt in meinen Ohren jedoch langweilig und formelhaft. Ich finde es immer klasse, wenn anspruchsvolle, fast schon intellektuelle Popmusik extrem erfolgreich wird. Leider sehe ich im Moment nicht viele obskure Sänger, Songschreiber oder experimentelle Bands, die mit aller Macht den Jackpot knacken und die Kultur verändern wollen.




Gerade war Bob Dylan in Berlin. Sie haben sich kürzlich als Dylan-Fan geoutet. Wandeln Sie sich vom Synthi-Popper zum Folk-Rocker?




Ich war schon in den siebziger Jahren ein großer Dylan-Fan. Ich möchte nicht behaupten, dass er einen großen Einfluss auf die Pet Shop Boys hat. Aber eine Inspirationsquelle ist er auf alle Fälle. Allein wenn man sieht, mit welcher Leidenschaft Dylan nach 45 Jahren im Geschäft immer noch Musik macht und wie er dauernd sein Image ändert. Kürzlich besuchte ich zum ersten Mal in meinem Leben eines seiner Konzerte. Er saß die meiste Zeit an den Keyboards, was irgendwie schräg war. Ich glaube, als Popstar ist Bob Dylan ziemlich verkannt.




Und welche Gedanken beschäftigen Sie als Popstar, der die 50 überschritten hat?




Eindeutig das Älterwerden. Dagegen kann man sich einfach nicht wehren. Ich habe das Gefühl, dass die Zeit heute schneller vorbei geht. Das macht einem ein bisschen Angst. Aber es ist auch interessant, älter zu werden: Man wird weiser, sicherer und betrachtet die Dinge aus einer anderen Perspektive. Wenn ich auf der Bühne stehe, fühlt es sich manchmal an, als wären wir erst am Anfang. Das beruhigt mich, weil ich dann weiß, dass wir noch genügend kreative Energie haben, um unseren 40. Geburtstag feiern zu können.

Taken from: Berliner Morgenpost
Interviewer: Olaf Neumann