Macht Popmusik klug?

Um es gleich zu sagen: ja. Die neue Platte von den Pet Shop Boys ist eine gute Platte geworden. Aber sie wirkt trotz ihrer eleganten, geschickt inszenierten Tanzmusik auch englisch-einsilbig, eben genau wie ihr Titel: „Yes“. Um nicht zu sagen: Die neue Platte der Pet Shop Boys wirkt leicht gelangweilt auf hohem Niveau.




Eine schlechte Platte in dem Sinne, dass etwas total danebenginge, zu laut, zu leise, zu dick oder zu dünn aufgetragen wäre, kann es bei den Pet Shop Boys ohnehin gar nicht geben. Denn Chris Lowe und Neil Tennant – im unserem Bild ist der eine behelmt und der andere nicht – haben über die fast dreißig Jahre hinweg, in denen sie nun zusammenarbeiten, eine stilsichere Kunst-Souveränität entwickelt. Ihr elektronischer Pop ist immer visueller geworden, sie haben ihn zum Gesamtkunstwerk gestaltet: Alles sieht toll aus, sogar die Musik.




So ist das eigentlich sonst nur bei Teflon




Und man sieht auch selbst toll aus, wenn man sie hört. Das glaubt man jedenfalls. Denn eingebettet in so viel exzellenten Geschmack, der über die neueste Mode und die beste Kunst wohlinformiert ist, kann man ja nur toll aussehen. Die zwei Londoner Musiker, die vor ihrer Karriere zur einen Hälfte Architekturstudent, zur anderen Popkritiker mit Ambitionen waren, sind deswegen auch immer Lieblinge von Popkritikern mit Ambitionen (und von Architekten) gewesen. Manch einer unten diesen Kritikern, gefragt, was er am liebsten wäre, wenn er eine Band wäre, antwortete deshalb auch: die Pet Shop Boys.




Verständlich. Aber dann, nach den elf neuen Liedern von „Yes“, bleibt leider kaum etwas haften. So ist das eigentlich sonst nur bei Teflon. Nichts Nachpfeifbares bleibt vom neuen Album, wie es zum Beispiel der Hit „New York City Boy“ aus dem Jahr 1999 war, nichts ist weise wie „Being Boring“ von 1990, nichts ist so hart und aufwühlend, wie es die unvergessenen „West End Girls“ waren, die erste Single, die schon 1984 erschien und dann 1985 gleich noch einmal. Dass man die meisten Melodien schnell wieder vergisst, liegt nicht daran, dass hier allmählich Genie versiegte oder Mut versagte. Es liegt vielleicht eher daran, dass Neil Tennant und Chris Lowe einfach alles richtig machen. Und dass sie die richtigen Sachen tragen und sagen. Dass sie wissen, wo man in Berlin Weihnachtsgeschenke kauft und in welche Clubs man danach geht. Dass bei ihnen einfach alles so abgezirkelt und genau und so große, große, große Kunst ist, dass keine Luft bleibt, kein Zufall, kein Unfall. Eine Plazebo-Musik spielen die Pet Shop Boys mittlerweile, die wirkt, weil man an die Sache glaubt. Und diese Sache heißt: kluger Pop.




Wenn die beiden wenigstens kontaktgestört wären wie Kraftwerk!




„Wir alle werden durch Popmusik schlauer!“, hat Neil Tennant neulich in einem Interview gesagt. Es ist ein alter Traum gerade subversiver Popkünstler, mit dem Kopf tanzen zu können. „Wir haben dich tanzen gesehen, und wir kennen dein Problem“, hat allerdings Bernd Begemann einmal gesungen. „Du versuchst so angestrengt zu beweisen, was du weißt – dreh dich einfach im Kreis!“ Doch im Zweifel unterschrieben auch die Pet Shop Boys diese Zeilen sofort. Weil ihre Musik nicht nur schlauer machen soll, sondern auch den Moment feiern will. Weil auch sie sich aus den Discosounds von Ibiza-Nächten speist, aus Operette und reinem Genuss. Weil sie glauben, dass es losgehen, abgehen soll, dass einen die Musik befreit und anspornt. Genau deswegen konnten sich die Fanchöre der Fußballstadien auch sofort die Melodie von „Go West!“ klauen, nachdem die Pet Shop Boys diesen Schwulendisco-Klassiker der Village People vor Jahren ihrerseits angeeignet hatten. Aber zerebral war die Musik des englischen Duos trotzdem immer.




Wenn die beiden wenigstens kontaktgestört wären wie Kraftwerk! Deren visuell gefilterte, auch von Weimarer Bühnentraditionen geprägte Elektrik ist sehr verwandt mit der von den Pet Shop Boys. Aber nein, Neil Tennant und Chris Lowe sind höflich, aufmerksam und lustig, wenn Lowe auch bei Interviews eher den Mund hält und Tennant das Reden überlässt.




Ich weiß immer ein bisschen mehr als du über dich und über diese Nacht




Und so wohltemperiert, wie die beiden wirken, treiben nun auch die elf neuen Songs vor sich hin, allesamt in einem fast immergleichen mittleren Tempo gehalten, getragen von Tennants uncharakteristischer Stimme, die in ihrer Durchschnittlichkeit und leicht maliziösen Arroganz aber immer schon äußerst effektiv war. Sie sagt: Ich weiß immer ein bisschen mehr als du über dich und über diese Nacht. „Love etc.“, die Auftaktsingle, tänzelt leichtfüßig voran. „Beautiful People“ wird wegen seines Refrains – „I wanna live like beautiful people / give like beautiful people / with like beautiful people around“ sicher bald in allen Clubs laut mitgesungen, dafür sind solche Lieder immerhin da. „Vulnerable“ erinnert an das schon erwähnte „Being Boring“, es ist müde, weise, ein Lied wie ein später Nachmittag. Bei „All Over the World“ schließlich haben sich die Pet Shop Boys bei Tschaikowski bedient, aber natürlich dezent.




„Yes“ ist also eine gute Platte geworden; man macht nichts falsch, wenn man sie kauft, genauso, wie die zwei von den Pet Shop Boys nichts falsch gemacht haben, die sie mit Hilfe des Produzententeams Xenomania aufgenommen haben. Etwas stört aber. Und zwar, dass nichts stört. Dazu sind die Zeiten allerdings zu unruhig.

Taken from: FAZ.net
Interviewer: Tobias Rüther