Liebe? Spießerkram!

Die Pet Shop Boys bitten mit „Electric“ wieder auf die Tanzfläche. Es ist das zwölfte Album des britischen Synthie-Duos.




So richtig durchgestiegen ist man bei den Pet Shop Boys eigentlich noch nie. Zwei Männer, die von vornherein eigentlich zu alt waren für das, was sie machten. Die Menschen mit ihrer Musik in Bewegung brachten und sich dabei selber nur rührten, wenn es unbedingt nötig war. Die auf Tanzmusik Texte schrieben, die mit move your ass nichts zu tun hatten, sondern die mit feiner Ironie an der Gesellschaft herumnörgelten. Die sich CD-Cover von Gerhard Richter designen ließen und dem Kunstleben immer näher waren als dem Nachtleben.


Und dann veröffentlichten die Pet Shop Boys plötzlich eine Ballettmusik, und anschließend, im vergangenen Jahr, ein sehr nachdenkliches, melancholisches, fast schon elegisches Popalbum namens „Elysium“. Und regten damit den Gedanken an, ob Elektropopbands auf der Trendwelle reiten, bis der Trend vorbei ist und dann die Band auflösen. Oder ob Elektropopbands als solche ein Alterswerk abliefern können, so wie es Rockmusiker tun, wenn sie plötzlich mit der Gitarre auf dem Hocker sitzen, über das Leben als solches nachdenken und nach 45 Minuten eine Konzertpause machen.


Die Pet Shop Boys haben ein Jahr gebraucht, um die musikalische Antwort zu geben, was für eine Antwort lange ist. Für ein neues Album ist es geradezu beeindruckend kurz. Ob „Elysium“, das recht rätselhafte Werk aus dem Herbst 2012, nun ein abgebrochener Versuch war oder eine geplante Zäsur oder ein kleines Täuschungsmanöver – mit „Electric“, dem neuen Album, geht es zurück auf die Tanzfläche.


Sänger Neil Tennant ist seit Mittwoch 59, der schweigsame Chris Lowe, der so eindrucksvoll die Kunst beherrscht, keinen Gesichtsausdruck haben zu können, ist 53. Alterswerk? Pah! „Electric“, erschienen nach langen Jahren bei Parlophone erstmals auf dem eigenen Label x2, legt mit dem fast instrumentalen „Axis“ hypnotisch los und kommt eine Stunde lang nicht zur Ruhe. Es klingt nur anfangs ein bisschen nach einem Experiment.


Der britische Produzent Stuart Price, bei dem auch Madonna, Depeche Mode und die Killers in der Kundenkartei stehen, hat den Songs mit einer Prise House und ein bisschen Dubstep-Geknatter einen Sound übergezogen, der nach heute klingt. Drunter trägt das Album immer noch die wiedererkennbaren Pet-Shop-Boys-Teile: Fiebriges Giorgio-Moroder-Disco-Tuckern, breite Soundwände, auf dem zuckersüßen „Love Is A Bourgeois Construct“ tauchen sogar die Plastikfanfaren wieder auf und tuten das Thema zwischen die Beats. Sogar einen Springsteen-Song haben sie gecovert. Man stelle sich das mal umgekehrt vor. Aber so herum geht es hervorragend. „The Last To Die“ klingt, als ob der Boss es nicht als Stadionrocknummer, sondern direkt für die Disko geschrieben hätte.


Aber würde man Pet-Shop-Boys-Songs wiedererkennen ohne die helle, klare Stimme von Neil Tennant? Sie ist das wichtigste Markenzeichen jedes Pet-Shop-Boys-Songs. Nie wird man eine Emotion aus dieser Stimme heraushören können, nie wird sie das gesungene Wort verstärken oder anderweitig manipulieren. Die boshafte Ironie, die aus manchen Songs des Duos trieft, hat auch mit dieser konstant undurchschaubaren, gefühlsneutralen Singweise zu tun.


Dabei ist der Musiker durchaus kein gefühlloser Mensch, auf der Bühne ist er ein charmanter Conferencier, der very british durch sein eigenes Programm führt. Andererseits: Wenn er es nicht täte, bliebe es still bei einem Pet-Shop-Boys-Konzert. Von seinem Partner hat er in dieser Hinsicht nicht viel zu erwarten.


„Love Is A Bourgeois Construct“ ist in vielerlei Hinsicht das Zentrum des Albums. Zum einen vereint es musikalisch am plakativsten die klanglichen Renovierungsarbeiten ihres jungen Produzenten mit den vielen Reminiszenzen an 40 Jahre Elektropop, die das Duo auf den Songs versammelt und wie immer elegant und fließend zusammenbaut. Zum anderen beschreibt es Tennants Sichtweise auf Themen, die in der Tanzmusik und auf der Tanzfläche für gewöhnlich wesentlich körperlicher behandelt werden. Tennant findet: Liebe ist ein Spießerding. Move your ass ist da ganz weit weg.


Meint er das jetzt so? In „Love etc.“, dem Hit des großartigen Albums „Yes“ (2009), sang Tennant: „Du musst nicht reich sein, du musst nicht schön sein. Aber es hilft.“ Sich emotional oder gar leidenschaftlich einem zwischenmenschlichen Thema hinzugeben, liegt den beiden fern. Die Pet Shop Boys sind mit schweißtreibender Musik Superstars geworden, ohne auch nur ein bisschen sexy zu sein oder das Thema Sex als Verkaufsvehikel zu bemühen. Das ist vielleicht das Erstaunlichste an dieser Band. Und das ist ziemlich sexy.

Taken from: Hannoverische Allgemeine
Interviewer: Uwe Janssen