In einem früheren Leben waren Neil Tennant
und Chris Lowe Musikjournalist und Architekt.
Man tut den beiden nicht Unrecht, wenn man ihnen
ein bestimmtes Interesse an Form und Funktion
unterstellt. Seit Mitte der 80er Jahre sind die
beiden Herren als Pet Shop Boys erfolgreiche Popmusiker.
Gerade haben sie ihr neuntes Album veröffentlicht.
Ihre bisherigen Partner können sich sehen lassen: Derek Jarman hat für sie gefilmt, Zaha Hadid die Bühnenkulissen entworfen. Der Videoclip zur ersten Single-Auskopplung des neuen Albums kommt von Turner-Preisträger Wolfgang Tillmans. Die Pet Shop Boys trugen runde Plastikhüte oder filzige ‘Kleiner Prinz’-Frisuren, sangen über ‘West End Girls’, coverten U2s ‘Where The Streets Have No Name’ – na, welche Version klingelt jetzt in Ihrem Ohr? – und leisteten sich Hits wie ‘Go West’.
Mausern
Sommerfell, Winterfell, Fantasiekostüm und Nachtgewand: Die Wandlungsbereitschaft des Pop-Duos zeigte sich vor allem in Outfit und Show, während die musikalischen Merkmale – Künstlichkeit bis hin zu elektronischen Stimmverzerrungen, die melodische Banalität, der stimmliche Ennui – geblieben sind. Die aktuelle Neuerung: Auf ‘Release’ hört man erstmals Gitarren. Ein Abschied von der rein Synthesizer-generierten Musik, die Rückkehr zur Gitarre – einem Gegenstand musikalischen Posings, vor dem sich die Pet Shop Boys bislang verwahrt haben. Auf einmal offenbart das Duo – bei aller Fremdheit in der Haltung – seine harmonische Nähe zum Brit-Pop. Der hat seinen Hoch-Zeit zum Glück auch schon lange hinter sich.
Mosern
Vor sechs Jahren hätte man Tennant und Lowe des Opportunismus’ verdächtigt. Heute, da der Brit Pop nicht mehr en vogue ist, ist die musikalische Nähe über jeden Trittbrettfahrer-Verdacht erhaben. Um zusätzliche Profilierung bemüht, haben die Pet Shop Boys – die Veröffentlichung ihres Albums flankierend – den Niedergang von Stil und Kreativität in der heutigen Popmusik beklagt. Der ‘Spiegel’ hat die Stellungnahme von Tennant und Lowe als Gastbeitrag veröffentlicht.
Marketing und Kommerzialität dominierten die Szene, schimpfen die beiden End-Vierziger, seit den Spice Girls habe keine britische Popband mehr eine eigene Aussage gehabt – deren Motto, immerhin: ‘Girl Power’. Heute hingegen würden ‘Deppenbands’ mit ‘elender Musik’ auf den Markt gescheucht – für die Pet Shop Boys die ‘panische Reaktion einer Musikindustrie, die ums Überleben kämpft’.
Mausen
Das Duo spart nicht mit Eigenlob: Tennant und Lowe würden Popmusik nicht nur produzieren, sondern auch noch lieben. Sie hätten immer ihren individuellen Stil gepflegt und gewusst, wie man einen guten Song schreibt. ‘Und natürlich hatten auch die Pet Shop Boys einen Plan: nämlich banale Popmusik und intelligenten Spaß, eingängige Discobeats und aussagekräftige Texte zu kombinieren – also Frivolität und Ernsthaftigkeit.’ Als hätten sie diese Eigenschaften gepachtet, stellen die beiden fest, Pop habe ‘mit Charisma zu tun und mit Stilbewusstsein’. Auch wie mühevoll es immer gewesen sei, ihr eigenwilliges Bühnen-Outfit zusammen zu stellen, bleibt nicht unerwähnt.
Die Katze lässt das Mausen nicht, und Neil Tennant, von Hause aus Musikjournalist, kann offenbar das Flöhen nicht lassen. Oder das Kratzen. Die Äußerungen der Pet Shop Boys zeigen sich als vorsorgliche Aktion einer Musikgruppe, die um die Aufmerksamkeit eines offenbar unberechenbaren Publikums kämpft. Dabei hätte das Album das nicht einmal nötig. Es ist nämlich eigentlich ganz nett. Und damit besser als vieles, was in letzter Zeit durch die Hitparaden schwappte.
Taken from: FAZ.net
Interviewer: Fridtjof Küchemann