Kluger Pop für kluge Menschen

Und noch dazu mit Sinn für Verlust: Das neue Album der ¸¸Pet Shop Boys’




Hey-ho, es wird Frühling und hier kommen die Pet Shop Boys, lässig posieren sie für jede Musikzeitschrift, Neil und Chris, schick wie wir es gewohnt sind, vielleicht ein wenig onkelhaft inzwischen. Grau sind sie geworden und weltgewandt, und sie haben ein neues Album zu verkaufen.




Im Februar bei den British Music Awards, dieser Selbstfeier der Musikbranche im Vereinigten Königreich, wurden die Pet Shop Boys mit dem Preis für einen ‘herausragenden Beitrag zur Musik’ geehrt, einer Auszeichnung fürs Lebenswerk – der Zynismus, der diese Veranstaltung für gewöhnlich durchzieht, war für einen Moment gebannt. Den Zuschauern wurde ein kurzes, buntes Potpourri über die Karriere der Pet Shop Boys gezeigt, ein Vierteljahrhundert dauert die nun schon. Der Clip hätte leicht Nostalgie hervorrufen können (was erfahrungsgemäß bedeutet hätte, dass die Zuschauer sich selbst bejubeln), aber da war etwas anderes im Publikum: echte Zuneigung. Es war die Erkenntnis, wie sehr die Musik der Pet Shop Boys in all den Jahren einfach nur da war, ein fester Teil unserer Popbiographien, der uns nicht so sehr daran erinnert, dass wir einmal jung waren, sondern vielmehr daran, dass es tatsächlich eine Art von Popmusik gibt, die, jawohl, erwachsen ist.




Das Wohlwollen aus der Nacht der Brits war auch in den vielen Interviews spürbar, die Neil Tennant und Chris Lowe in den Wochen vor dem Erscheinen ihres neuen Langspielwerks ‘Yes’ gegeben haben. Man merkt richtig, wie sich altgediente Musikjournalisten, auch sie erwachsen geworden, im Gespräch mit den beiden entspannen. Sie müssen diese Gruppe niemandem mehr verkaufen, nicht ihren Lesern und nicht ihren Redakteuren. Kluger Pop für kluge Menschen, das ist der Traum eines Journalisten.




Der Status der Pet Shop Boys als nationales Heiligtum ist viel bemerkenswerter als er auf den ersten Blick wirkt. Die Rockmusik errichtet sich selbst Monumente, fast seit es Rockmusik gibt. Die jährliche Rangliste der Kartenverkäufe, heutzutage wirtschaftlich wichtiger als der CD-Absatz, wird dominiert von den Shows großer Rock-Denkmäler wie den Stones und den Eagles. Dem Mediensturm um die Pet Shop Boys war ein ähnlicher Rummel um das neue Springsteen-Album vorausgegangen, gefolgt von dem gleichen Spektakel für das neue Werk von U2.




Aber ein Pop-Act ist kein Rock-Act, und die Pet Shop Boys waren immer schon ganz entschieden Pop, nicht Rock. Jedes neue Album einer alten Rockband muss sich der gleichen Frage stellen: Ist das eine Rückkehr zu alter Form? Im ersten Augenblick mag die Antwort manchmal ja sein, aber auf lange Sicht ist sie immer nein. Die Rock-Denkmäler stehen stets für etwas Vergangenes, für einen Moment des Glücksrauschs und Versprechens, der nie wiederholt werden kann, höchstens durch das Hören der alten Alben oder durch die Wiederbegegnung mit den Bands (und wieder und wieder und wieder) in ihren Stadionshows. Letzten Endes geben Rockgruppen das Streben nach Neuem auf. Wann haben die Stones oder sogar Bob Dylan zum letzten Mal ein Album herausgebracht, das sich irgendwer lang angehört hätte? Wann hat ein Kritiker zum letzten Mal ernsthaft geglaubt, dass das neue Album von U2 oder Oasis oder sogar Bruce Springsteen die Hörer so bewegt, wie es die alten getan haben?




Der Pop hat ein anderes Verhältnis zur Zeit als der Rock. Er erhebt keinen Anspruch auf Zeitlosigkeit, er ist naturgemäß aus seiner Zeit geboren. Alter Pop ist einfach alt und neuer Pop muss sich immer in der Soundlandschaft der Gegenwart durchsetzen. Die Frage, der sich nun die Pet Shop Boys stellen müssen, ist also nicht, ob ‘Yes’ eine Rückkehr zu alter Form ist. Die Frage lautet: Ist ‘Yes’ von Bedeutung? Denn ein Pop-Act, der keine Spuren hinterlässt, endet in der genretypischen Variante einer Nostalgieshow: weit entfernt von den kolossalen Welttourneen der Stones oder von U2, im Parcours der Provinztheater, den praktisch alle Veteranen aus den Sechzigern, Siebzigern und Achtzigern bespielen – wenngleich mit ganz anderen Besetzungen als damals.




Die Pet Shop Boys, die immer extrem modebewusst waren, schließlich hat die schonungslose Unmittelbarkeit der Tanzflächen ihre Musik geformt, sind weder in der Gefahr, Denkmäler zu werden noch die Headliner einer Best-of-Eighties-Tour (konkret haben sie sich für Auftritte in der Festivalsaison im Sommer entschieden). Das Ziel von ‘Yes’ ist es also, ein Teil der Soundlandschaft des Jahres 2009 zu sein. Als diesbezüglich schöne Geste entstand das Album in Zusammenarbeit mit Xenomania, dem britischen Produzententeam hinter der Castingband Girls Aloud, der Kritiker immerhin die besten britischen Popaufnahmen dieses jungen Jahrhunderts zubilligen.




Nun haben wir hier also elf neue Songs, drei gemeinsam mit Xenomania geschrieben, alle von Xenomania produziert. Und trotzdem: Aus Hörerperspektive ist das Ganze einfach ein Pet-Shop-Boys-Album. Wenn ich nicht durch die Credits auf dem Cover gewusst hätte, dass Xenomania an dem Projekt beteiligt ist – am Klang hätte ich es nicht erkannt. Ein oder zwei Tracks mögen etwas Vulgäres an sich haben, die erste Single-Auskopplung ‘Love, etc.’ etwa, die kaum verhohlen nach einem ‘Lass-uns-möglichst-viel-Radiospielzeit-kriegen’-Ansatz klingt. Aber zum größten Teil ist da für den Hörer sofort und ganz offenkundig der vertraute Pet-Shop-Boys-Sound. Die Rhythmusspuren, die Neil Tennants Stimme vorwärts tragen, zeigen immer noch deutlich die Wurzeln der Gruppe in der Disco der siebziger Jahre.




Die Pet Shop Boys zeigen uns, was es heißt, alternde Popstars zu sein, und nebenbei vermitteln sie uns auch eine sehr willkommene Vorstellung davon, was es heißt, alternde Popfans zu sein. Was ‘Yes’ nun interessant macht (und erstaunlich hörenswert) ist nicht etwa die Anpassung des musikalischen Handwerks der Pet Shop Boys an den neuen Sound von Xenomania, sondern die Virtuosität, mit der dieses Handwerk die Xenomania-Spielart des Pop aufsaugt – genau wie auch viele andere neue Popsounds über die Jahre von den Pet Shop Boys absorbiert wurden.




Das Album macht sehr deutlich, dass im Kern der Pop-Empfindung der Pet Shop Boys die Tatsache steht, dass sie ein Duo sind. Das ist natürlich schon in ihrer symbolischen Arbeitsteilung auf der Bühne sichtbar, hier die Stimme, dort der Instrumentalpart, also genau der von den Medien gern hochgespielte Kontrast zwischen Tennant, dem redseligen Textschreiber, und Lowe, dem lakonischen Musiker. Und trotz der vielen Namen, die bei den einzelnen Songs mit einen Credit gewürdigt werden, ist das, was fesselt, auch bei ‘Yes’ der Dialog, der sich zwischen diesen zwei individuellen Musikern entfaltet, zwischen Tennants Gesang und Lowes Musik. Die unterschiedlichen Geräusche (es ist unmöglich, die elektronischen und nicht-elektronischen Instrumente auseinander zu halten; aber es gibt auf jeden Fall Bläser, ein Orchester und Johnny Marrs Gitarre) sind manchmal ein Kommentar zu oder eine Antwort auf die emotionalen Vignetten von Tennants Gesang. Die Handlung der Songs ist ein wenig unklar, aber die Gefühle des Bedauerns, der Freude und der Reue sind scharf genug umrissen. Manchmal übernehmen Gesang und Musik sogar die Erzählung. Wenn Tennant etwa mal damit zufrieden ist, sich zu wiederholen, ziehen die Geräusche die Aufmerksamkeit auf sich; wenn die Hintergrundmusik am mechanischsten klingt, ist es Tennants Stimme, die schon durch die Veränderung der Stimmlage Spannung evoziert.




Ob das alles nun Popmusik für das Jahr 2009 ist, hängt ganz vom Zuhörer ab. Ich bezweifle, dass das hier Musik für junge Leute ist, nicht weil die Pet Shop Boys eine alte Gruppe sind, sondern weil ihr emotionales und musikalisches Handwerk nicht auf Jugendlichkeit ausgerichtet ist. Die Strukturen der Songs bauen zwar alle auf kurzen Sätzen und eingängigen Zeilen auf, die dabei aber von Zurückhaltung gekennzeichnet sind. Trotzdem gibt es natürlich einige Songs, die ich mir immer wieder anhören kann: ‘More than a Dream’, ‘Building a Wall’, ‘King of Rome’. Das ist nicht gerade exakt Pop für die Rezession, aber es ist Pop mit einem ausgeprägten Sinn für Verlust.




Und noch eine letzte Sache über den Pop gibt es hier zu sagen. Die Pet Shop Boys sind eine alte Gruppe, aber sie haben eine Aufnahme gemacht, die voll und ganz ins Zeitalter des iPod passt. ‘Yes’ ist kein Album geworden, das man sich als Album anhören sollte – die Aufmerksamkeit schwindet etwa bei der Mitte, und mein heruntergeladenes Presseexemplar schien nicht einmal die gleiche Songreihenfolge zu haben wie die CD. Vielmehr haben wir es hier mit elf Songs zu tun, die – einer wie der andere – ihren Platz in ganz persönlichen Playlists einnehmen können. Genau so haben das die Pet Shop Boys schon immer gemacht.

Taken from: Süddeutsche.de
Interviewer: Simon Frith