Karrieristen sind nicht Cool

Die Briten Tennant, 47, und Lowe, 42,


sind unter dem Namen Pet Shop Boys


seit zwei Jahrzehnten im Popgeschäft,


gelten als Stilpäpste der Branche und


schafften mit Songs wie ‘West End Girls’


und ‘It´s a Sin’ Welthits. Ihr neues


Album ‘Release’ erscheint am 2. April




Es gibt drei Regeln für angehende Popstars. Erstens: Du solltest gut aussehen. Zweitens: Du solltest gut aussehen

und drittens …….. nein, so simpel ist es eben gerade nicht.


Popmusik ist die Kunst, dem Zuhörer, dem Fan einen glitzernden Traum zu präsentieren und seine Phantasie zum Schwingen

zu bringen. Doch was findet derjenige, der in den aktuellen Hitparaden nach dieser Art Popmusik sucht? Er trifft auf

die Jungs und Mädchen von Hear´Say, S Club 7, Steps, No Angels oder Bro´Sisis; auf junge Karrieristen, geboren in

Fernsehshows und Talentwettbewerben; ausgesucht von Marketingleuten, die sich einbilden, sie könnten Musiker ersetzen.


Der Hitparadenpop von heute gibt sich berechenbar und illusionslos, er hat nichts mehr mit Kreativität zu tun – und das

ist katastrophal.


Wir produzieren nicht nur Popmusik, sondern lieben sie auch. Nur leider findet sich in den Hitparaden derzeit wenig

Liebenswertes. Vielleicht erstaunt Sie unser Zorn. Schließlich wurden die Pet Shop Boys einst selber von vielen Kritikern

als Inbegriff der Künstlichkeit und der puren Berechnung geschildert. Wir Pet Shop Boys haben uns nie als Musiker präsentiert,

wir verstanden uns immer mehr als Multimedia-Aktivisten – mit einer großen Vorliebe für aufwendige Bühnenbilder, Videos und

Spektakel. Das hat leider dazu geführt, dass selbst unsere Freunde irgendwann dachten, wir gingen einfach ins Studio und

pfifffen irgndwelchen Technikern vor, wie sie unsere Lieder programmieren sollten. So haut es bis heute viele um, dass wir

Noten lesen können, Instrumente spielen und Songs schreiben.


Viele Kritiker staunen, dass auf unserem neuen Album ‘Release’ an Stelle von Discobeats nun mehr Gitarren zu hören

sind. Warum? Wir haben immer unseren individuellen Stil gepflegt und gewusst, wie man einen guten Song schreibt. Vor

allem wussten wir immer, dass gute Popmusik vor allem eines braucht: eine Idee. Was aber ist die Idee von Hear´Say, S Club 7,

Steps, No Angels oder Bro´Sis?


Die Antwort lautet: Es gibt keine. Die wollen alle nur Profis sein. Pop ist für diese Art Bands nur ein Karrieristenprodukt;

heutzutage besucht man erst eine Showschule und entscheidet sich dann ob man Fernsehmoderator oder Popstar werden soll.


Die letzte große britische Popband waren die Spice Girls. Neunmalschlaue Feuilletonisten beschimpften sie als vorfabrizierte

Einwegpopstars, aber das war Blödsinn. Die Idee der Spice Girls war Girl Power. Zugegeben, kein sonderlich origineller

Einfall, aber ein effektiver. Ein Konzept das die ganze Welt kapierte; der Papst und Nelson Mandela und ein Junge in einer

Shopping Mall in der amerikanischen Provinz konnten sich etwas unter Girl Power vorstellen: fünf coole Frauen, die sich von

Männern absolut nichts bieten lassen.


Auch die Beatles hatten eine Idee, oder zumindest ihr Manager Brian Epstein. Boy George und der Culture Club hatten eine.

Und natürlich hatten die Pet Shop Boys einen Plan: nämlich banale Popmusik und intelligenten Spaß, eingängige Discobeats

und aussagekräftige Texte zu kombinieren – also Frivolität und Ernsthaftigkeit.


Heute ist der Zauber neuer Pop Acts spätestens nach zwei Alben meist endgültig vorbei. TV-Talentshows wie ‘Popstars’

bieten perfektes Fernsehen mit elender Musik. Diese Shows sind die panische Reaktion einer Musikindustrie, die ums

überleben kämpft – und versucht, das Risiko so überschaubar wie möglich zu halten. Die Figuren, die zurzeit die Hitparaden

dominieren, wollen sehr schnell sehr viel Geld verdienen. Vielleicht wollen sie dabei tatsächlich auch gut aussehen. Aber

ehrlich gesagt, den meisten dieser Bands gelingt nicht mal das. Die Jungs und Mädchen von Hear´Say etwa sind hässlich wie

Vogelscheuchen, sie können nicht sonderlich gut tanzen – und sie haben Allerweltsstimmen. Wir würden jedenfalls keinen von

denen als Backgroundsänger einstellen.


Jetzt werden Sie vielleicht sagen: Neil Tennant soll mal nicht den Mund so weit aufreißen, denn so ein toller Sänger ist

er ja nun auch nicht. Stimmt. Na und? Darum geht es nicht. Denn gute Sänger gibt es wie Sand am Meer. Jeder Postbote singt

unter der Dusche, und wiele von ihnen besser als Bob Dylan oder Neil Young. Aber Tatsache ist nun mal: Einige der besten

und einflussreichsten Platten der Popgeschichte wurden von Menschen gesungen, die das definitiv nicht besonders gut können.


Guter Pop hat mit Charisma zu tun und mit Stilbewusstsein. Guter Pop ist immer auch elitär. Die Pet Shop Boys waren immer

elitär, auch was die Mode anging. Wir entdeckten mit viel Mühe ein cooles Modelabel, eine japanische Jeansmarke oder so was;

das trugen wir auf der Bühne und waren stolz darauf, dass die Menschen, die diese Sachen dann alle gern haben würden, sie

nicht so schnell finden würden.


Heute ist die Hitparadenmode von Stylisten ausgetüftelt und am nächsten Tag in jedem Kaufhaus zu haben. Sobald eine dieser

Deppenbands im Fernsehen bei ‘Top of the Pops’ irgendwas trägt, das man selber auch zu Hause hat, bleibt einem nur eines:

die Sachen in den Müll zu stopfen.

Taken from: Der Spiegel
Interviewer: C. Lowe und N. Tennant