Kann denn Lärmen Sünde sein?






Gleich mit dem neuesten Hit zu eröffnen, das wagen nur wenige Bands. Bleibt ihnen danach oft nur noch zweitklassiges Füllmaterial, um ein Konzert

über die Bühne zu bringen. Bei den Pet Shop Boys sieht die Sache allerdings anders aus – jeder Auftritt ergäbe mitgeschnitten eine veritable

Best-of-Compilation. So warfen Neil Tennant und Chris Lowe dem Publikum in der Philipshalle ‘Home and Dry’ quasi als Appetithappen vor, wohlwissend,

dass sie ihr musikalisches Menü damit nicht gefährden.



Gitarren und Schlagzeug standen diesmal auf dem Plan; für die Könige des Synthie-Pop ein geradezu waghalsiges Unterfangen. Vier Musiker holten

sich die beiden Londoner Boys dazu ins Team, zwei zupften elektrisch verstärkte Saiten, eine bemühte die Percussion, einer bediente die Computer.

Zusammen mit Tennant, der immer wieder zur Akustischen griff, und Lowe an den Keyboards also ein exzellent ausgestattetes Sextett, an dessen

gitarrenlastige Lärmwände man sich hin und wieder regelrecht anlehnen konnte.


Lärmwände? Bei den Pet Shop Boys? In der Tat. Und ohne die Songs zu zerstören. Stattdessen verliehen die Gitarren den glatten Melodien einiges

an Tiefe, sorgten für eine raue, schmutzige, authentische Note in Chris Lowes eletronischem Gedaddel.


Auf zu neuen Bescheidenheit lautete also die Devise. Tennant im luftigen Hemdchen, Lowe mit Baseballkappe, die Bühne im nüchternen Industrie-Design:

nackte Scheinwerfertürme, Monitore, Instrumente, sonst nichts. Na ja, fast nichts. Selten benutzt eine Band das Licht so clever, so ästhetisch und

effektvoll wie die Pet Shop Boys.


Lichtkanonen spuckten ihre Strahlen stakkatohaft ins Publikum, Spots flackerten wie ein Lichtgewitter oder kreisten wie im Discotaumel. Auf den

Punkt saß diese Choreografie, und sie trug zur Begeisterung fast ebenso viel bei wie die Songs der hitverwöhnten Engländer. Hits, die die Fans

hören wollten. ‘Domino Dancing’, ‘New York City Boy’, ‘Always on my mind’ lieferten die Pet Shop Boys ab, alle hintereinander, als einzigen

furiosen Rausch, der auch das Publikum auf den Rängen von den Stühlen riss. Lässig breitete Tennant die Arme aus, schritt über die Bühne und

dirigierte die mitsingende Menge.


Bei ‘Where the streets have no name’ von U2 raunten wieder die Gitarren; bei ‘Birthday Boy’ verdichteten sie sich zum Soundteppich, der selbst

Jesus and the Mary Chain zur Ehre gereicht hätte. ‘West End Girls’ profitierte von den Bongos, ‘Love is a catastrophe’ sang Tennant vor einem

Sternenhimmel, ‘Go west’ markierte den fulminanten Abschluss. Als Zugabe spendierte das Publikum den Gitarristen ein Geburtstagsständchen; die

Pet Shop Boys bedankten sich nach 90 Minuten mit dem Knaller ‘It’s a sin’. Aber auch Sünden muss man vergeben dürfen – und in diesem Fall nur

allzu gerne.

Taken from: Rheinische Post
Interviewer: Jörg Isringhaus