Für bessere Zeiten

Die Pet Shop Boys trotzen der Krise mit einer Frohbotschaft: ‘Yes!’ Melancholische Tanzmusik für die ganze Familie




Warum man jetzt genau die Pet Shop Boys noch mögen muss, können selbst die treuesten Fans nicht immer plausibel erklären. Immerhin genießen Chris Lowe und Neil Tennant zwar dank ihrer stets die Waage zwischen Haudrauf-Disco und Pop-Melancholie haltenden Hitparadenmusik seit einem Vierteljahrhundert einen ausgezeichneten Ruf unter praktizierenden Großraumdisco-Besuchern. Auch stillgelegte Tänzer mit Hochschulabschluss, denen der große Zeh aufgrund akuter Mitwippgefahr mittlerweile nur noch bei 40. Geburtstagen im Freundeskreis juckt, haben über die Jahrzehnte noch immer ihre Freude an der britischen Pop-Institution.




Wie man nach zuletzt schwachen Arbeiten wie Release (2002) und vor allem Fundamental (2006) nachhören konnte, mit deren Songs das Langzeitgedächtnis kaum belastet wurde, erschließt sich bei den Pet Shop Boys wie bei jedem anderen Pop-Act der Reiz ihrer Kunst in der Wiederholung. Böswillig unterstellt, kehrt hier das Immergleiche in immer neuen Kleidern und Arrangements zurück. Gutwillig spricht man von Personalstil oder Alleinstellungsmerkmalen. Der Tanzpop der sound- und produktionstechnisch jeweils auf den aktuellsten Stand gebrachten Pet Shop Boys mag sich im Kern nie verändern, aber Blendwerk und Täuschungsverhalten gehören nun einmal zum Geschäft.




Bei den Pet Shop Boys regieren diesbezüglich neben einer in frühen Singles wie West End Girls oder Being Boring oder der U2-Coverversion Where The Streets Have No Name eine oft und gern verbreitete Süffisanz – sowie mit dem postmodernen Rüstzeug der Ironie aufgebauschte Balladen im Banne des melancholischen Discotanzens. Während im Hintergrund die Drumcomputer schnalzen und echte wie falsche Streichorchester Stroboskopkugeln zum Schmelzen bringen, offeriert Sänger Neil Tennant mit süßlichem Sprechgesang kluge wie oft auch resignative Kommentare über Boys and Girls, heiße Nächte und langweilige Tage. Und er singt immer über die Sehnsucht. Selbst in Momenten allergrößter Verzückung schwingt in den Liedern der Pet Shop Boys das Wissen darüber mit, dass diese Party einmal zu Ende gehen wird und man sich im Morgengrauen unerlöst und mangelhaft, sehr wahrscheinlich einsam fühlen wird. Das spöttische Gelächter darüber kann man ja schon einmal im Vorhinein mit Gleichgesinnten teilen. Nachts ist alles lächerlich.




Für ihr neues Album haben sich Neil Tennant und Chris Lowe mit Brian Higgins und seiner Konfektionsfertigung Xenomania eine der derzeit weltweit angesagtesten Hitfabriken als Kooperations- und Kompositionspartner gebucht. Ein mitunter auch innovativ vorgehender Fließbandbetrieb, der in der Vergangenheit schon ewigen Problemfällen wie Kylie Minogue oder Mädchenbands wie Girls Aloud oder auch Alternative-Helden wie Franz Ferdinand unter die Arme griff. Für die Streicherarrangements zeichnet Owen Pallett verantwortlich, der Mann, der solo auch als Final Fantasy beziehungsweise als Mitglied der Extrempathetiker Arcade Fire bekannt ist.




Es gibt Wiederholungen




Die (mitunter kaum hörbaren) Gitarren bediente Halbgottheit Johnny Marr von den Smiths. Im anglosächsischen Raum noch immer eine sichere Bank dafür, dass sich das Album abseits einer unverfroren auf ein junges Massenpublikum zupreschenden Single namens Love Etc. auch in der Fachwelt mittelalter, kaufkräftiger und männlicher Leser von Erwachsenen-Musikmagazinen verkauft.




Mit dem provokativ-affirmativen Albumtitel Yes lassen die Pet Shop Boys nicht ganz unerwartet wieder einmal die 1980er-Jahre hochleben. Warum sich verändern? Es gibt Wiederholungen. Man trotzt mit dem alten Absolutheitsanspruch der guten alten Zeit des kommerziellen Pop der gegenwärtigen Krise. Man spendet mit der Melodie des Nussknackermarsches von Tschaikowsky im Song All Over The World mild-euphorischen Trost für abgelebte Yuppie-Zocker, die besseren Zeiten nachtrauern. Und in Beautiful People jubelt man sich gar zurück in die Aufbruchstimmung der Swinging Sixties. Die Pet Shop Boys haben mit Yes eine sehr gute Entscheidung getroffen. Sie sind wieder die Pet Shop Boys geworden.

Taken from: Der Standard.at
Interviewer: Christian Schachinger