Ende der Maskerade

Die Pet Shop Boys sind seit fast zwei Jahrzehnten


Pop-Superstars. Steffen Rüth sprach mit den Musikern über ihr


neues Album ‘Release’, den angeblichen Schwulenhasser Eminem und


angemessene Kleidung für ältere Menschen




We were never being boring.’ An diesem Leitsatz des Duos, als Single-Hit vor einem Jahrzehnt ausgerufen, hat sich

nichts geändert. ‘Wir wollten immer etwas Interessanteres machen’, sagt Tennant, 47, der Sänger. ‘Es ist ja viel

einfacher, das zu tun, was alle tun, und immer am neuesten Trend entlangzusurfen. Aber wer weiß, ob wir dann noch

hier säßen.’ Höchstwahrscheinlich nicht. ‘Ich bin überzeugt’, so Tennant, ‘dass wir heute noch

stärker aus der Masse hervorstechen als zu Beginn unserer Karriere Mitte der Achtziger. Manchmal denke ich sogar,

wir sind schon reichlich seltsam: Wo sind sie denn geblieben, die Helden unserer Generation? Madonna ist noch da. Aber

sonst?’



Das lobenswerte Konzept der konstanten Veränderung ihrer Arbeit und damit der steten Verblüffung der Medien und

Überraschung der Fans halten die zwei auch auf dem neunten Album aufrecht, ganz trocken ‘Release’ benannt. ‘Eigentlich

wollten wir auf dieser Platte mit HipHop-Beats arbeiten’, erzählt Neil. ‘Wir wollten weg von der Entwicklung, die Dance

Music immer weniger mit Songs und immer mehr mit Soundeffekten verbindet.’ Damit das Album runder klingt, holten sie

sich den alten Weggefährten Johnny Marr – vor Jahren betrieb er mit Tennant das Projekt Electronic – zum Gitarrespielen

ins Studio. ‘Wir sind keine Rockband geworden, aber irgendwie sind wir auf den Geschmack gekommen, seit wir auf diesen

Riesenfestivals in Roskilde und Glastonbury gespielt haben.’ Beim Hören von ‘Release’ drängt sich der Begriff ‘Britpop’

auf. Dem nahe liegenden Revival-Gedanken erteilt der freundliche Sänger jedoch eine Absage. ‘So ticken wir nicht. Du

könntest ein ganzes Buch darüber schreiben, was die Pet Shop Boys eigentlich hätten tun müssen im Verlauf ihrer Karriere’,

sagt er. ‘1996 etwa, im Zenit des Britpop, kam von uns ein Album mit lateinamerikanischen Einflüssen, und 1999 hätten wir

nach dem Gesetz des Marktes klingen müssen wie Daft Punk, das taten wir aber nicht.’ So ist das mit den Pet Shop Boys.

Eigenwilliges Querdenken ist hier kein Geschäftsprinzip, sondern ergibt sich schlicht aus dem Ansinnen, ‘Spaß an diesem

Spaß’ (Tennant) zu haben. Keyboarder Chris Lowe, 42 und Langschläfer, betritt den Raum, entschuldigt sich und – spricht.

Das ist selten bei dem als still geltenden Tüftler. ‘Ich finde es gut, auf der Bühne keine Perücken aufsetzen zu müssen

und keine weitere Image-Schicht auf uns draufzukleben.’ ‘Release’ klingt nicht nur natürlicher und entspannter als alle

bisherigen Alben. Mit ‘The Samurai in Autumn’ ist nur eine einzige Disco-Nummer unter den neuen Kompositionen zu finden –

und die ist auch noch traurig. Weg sind die bunten Anzüge, die Perücken, die multimedialen Spielereien. ‘Wir wollten uns

endlich als das präsentieren, was wir sind’, sagt Tennant , ‘als Musiker. Wir hatten immer Angst, dass die Leute sich

langweilen, wenn wir uns nicht verkleiden.’ Falls das für Mittvierziger nicht albern klingt, könnte man beiden endlich

den Eintritt in die Erwachsenenwelt bescheinigen. Selbst in seinen Texten hat Tennant den traditionell hohen Anteil von

Ironie und Zynismus zu Gunsten von Aufrichtigkeit zurückgefahren. ‘Vieles auf der Platte ist vom wirklichen Leben inspiriert.

,Birthday Boy’ hat den Mord an einem Jungen in London zum Thema, der getötet wurde, weil er schwarz war. Genau wie Matthew

Shepard, der wegen seiner Homosexualität ermordet wurde, beide sind Christus-ähnliche Figuren. Wie er für unsere Sünden

gestorben ist, so starben sie für moderne Sünden wie Rassismus und Homophobie.’ In ‘The Night I fell in Love’ hat sich

Tennant den mit schwulenfeindlichen Äußerungen in Erscheinung getretenen Kollegen Eminem vorgeknöpft. ‘Ein wunderbarer,

brillanter Künstler ist das. Ich denke, der ist nicht homophob, sondern drückt nur die amerikanische Haltung zu diesem

Thema aus. Ich fände das cool, wenn er selber schwul wäre.’ Da grinst er, ganz ohne Augenzwinkern geht es dann doch nicht.

Bleibt die Frage nach dem Wie-lange-noch. Immerhin ist es außergewöhnlich, dass ein Popduo 17 Jahre nach der ersten

erfolgreichen Single ‘West End Girls’ immer noch Überraschungen parat hat. Die Boys, die keine Boys mehr sind, mögen dieses

Thema nicht. ‘Popmusik hat mit dem Alter nichts zu tun’, bescheidet Lowe. ‘Viele Musiker werden um so besser, je älter sie

werden’, findet Tennant. ‘Richard Strauss und Beethoven etwa haben fantastische Spätwerke komponiert. Auf einem ähnlichen

Weg sehe ich uns auch. Wir werden nachdenklicher und haben uns weniger zu beweisen, weil es für Leute wie uns keine Konkurrenz

mehr gibt.’lll Zitat: ‘Wo sind die Helden unserer Generation geblieben? Nur Madonna ist noch da’ – Neil Tennant Bild(er):

17 Jahre nach der erfolgreichen Single ‘West End Girls’ will der Pet Shop Boy Neil Tennant nur noch gut unterhalten – auch

ohne schrilles Outfit.

Taken from: Financial Times
Interviewer: Pennie Smith