Ein Musical ohne Plot

Am Samstag begeisterten die Pet Shop Boys


das Zürcher Publikum – ohne aber jene Raffinesse zu zeigen,


für die das britische Duo eigentlich bekannt ist.




Schon vor Konzertbeginn ist die Luft im randvollen Volkshaus drückend heiss gewesen, aber gegen halb zehn Uhr abends kommt

im Grossen Saal gar mediterrane Club-Stimmung auf: Das dicht gedrängt stehende Publikum schwenkt die Arme, schwingt die Hüften

und grölt die alten Hits der Pet Shop Boys mit. Die Begeisterung für die pumpenden Rhythmen und schwungvollen Refrains ist

uferlos, man fühlt sich von Zürich nach Mallorca versetzt.




Eingekesselte Begleitband




Die Ballermann-Euphorie passt zu den schnelleren Nummern des britischen Duos: Seit Mitte der Achtzigerjahre beherrscht es die

Kunst, einleuchtende Melodien mit groben Beats zu einer Popmusik zu verbinden, die immer subtiler war als ihr leicht vulgäres

Timbre. Es wäre alles schön und gut, wenn die Pet Shop Boys dieser Linie treu geblieben wären. Nun verfolgen Neil Tennant und

Chris Lowe 2002 aber ein neues musikalisches Konzept: Auf ihrem Album setzen sie verstärkt auf leisere Töne und verspielte

Gitarren, auf der engen Bühne steht eine vom eigenen Equipment eingekesselte Begleitband. Das virtuelle Studiokollektiv ist

Fleisch geworden.



Die leisere Gangart der aktuellen Platte ‘Release’ bringt die Schönheit und auch die Raffinesse der Songs besser zur Geltung:

Der verdrängte Liebeskummer in ‘I Get Along’ ist berührend; ‘The Night I Fell In Love’, diese so subtile wie bitterböse Attacke

auf Eminem, kommt wunderbar leichtfüssig daher; ‘Birthday Boy’ kleidet den Bericht über Schwulenfeindlichkeit und Rassismus in

ein weihnächtliches Gebet. Bei diesen neuen Stücken bricht die Stimmung im Volkshaus aber immer wieder ein, die Reisser des Abends

sind alte Favoriten wie ‘New York City Boy’ oder ‘It’s A Sin’.




Abgesang auf den Warschauer Pakt




Merkwürdig ist, dass die Pet Shop Boys keinen Weg gefunden haben, ihr auseinander strebendes Set in eine schlüssige Form zu bringen.

Bei früheren Tourneen setzten sie noch abstrakte Tableaus und exotische Kostüme als dramaturgische Gleitmittel ein. Bei der neuen,

konventionellen Konzertanlage mit Band müssten Publikumskontakt und Arrangements den roten Faden liefern. Dafür sind Neil Tennants

Ansagen aber doch zu verhalten, und das Gruppenspiel weicht zu wenig von den Songvorlagen ab. Dabei spannt das Œuvre der Pet Shop

Boys ein dichtes Themennetz, das kollektive Befindlichkeiten aus dem späten 20. Jahrhundert enzyklopädisch ausbreitet, nur werden

diese Stränge nicht bewusst ausgelegt: ‘Go West’ war 1993 ein ironisch gespickter Abgesang auf den Warschauer Pakt, in ‘London’

wird 2002 die durch die Wende entstandene Einwandererproblematik beleuchtet, allerdings liegen diese Stücke im Programm weit

auseinander. Darum wirkt das Repertoire auch wie ein Musical ohne Plot.



Hier zeigt sich eine deutliche Diskrepanz zwischen den Ambitionen der Pet Shop Boys und ihrer aktuellen Show. Nach dem 2001

uraufgeführten ‘Closer To Heaven’ arbeiten Tennant und Lowe bereits an ihrem zweiten Musical, doch auf der Bühne wirken die

glänzenden Songwriter wie passionierte Amateure, die ein sympathisches, aber nie ganz fesselndes Konzert hinkriegen.



Als reguläres Popensemble scheitern die Pet Shop Boys ehrenvoll, das waghalsige Band-Experiment werden sie indes wohl nie

wiederholen – vorausgesetzt, sie kehren nach dieser Tournee überhaupt je wieder auf die Bühne zurück.

Taken from: Züricher Tagesanzeiger
Interviewer: Nick Joyce