Disco-Traum zwischen Mensch und Maschine

Das britische Pop-Duo gastierte


im Leipziger Haus Auensee.




In einem Gastbeitrag für den ‘Spiegel’ echauffierten sich die Pet Shop Boys erst kürzlich über die industrielle Fertigung von

Hitparadenstürmern. Sie sei berechnend und illusionslos und erzeuge obendrein ‘elende Musik’. Den Kreaturen der Produktionsmaschine

Pop, wie sie neuerdings einschlägigen Fernsehshows auf der Suche nach geborenen Stars entsteigen, hielt das Duo jene unlauteren

Motive vor, derer es selbst einst beschuldigt wurde: Die wollen nur sehr fix sehr viel Geld ergaunern, könnten nicht sonderlich

gut singen, hätten keine Idee – mit derlei Kritik belegte man zu Karrierebeginn Mitte der 80er Jahre auch Neil Tennant und Chris

Lowe.



Nach fast 20-jährigem Bestehen der Pet Shop Boys lässt sich über die ein oder andere Verdächtigung immer noch trefflich streiten

– zu welchem Urteil man auch kommt, es wird den Kultstatus der Band nur untermauern helfen, was für Casting-Popper wie die No

Angels oder Bro’Sis nicht uneingeschränkt gelten kann. Zumindest in der Frage der Finanzen soll Tennants bittere Erkenntnis

Erwähnung finden: ‘Je länger wir arbeiten, desto mehr Geld verlieren wir.’



Teure Projekte schröpften die Haushaltskasse, etwa die aufwendige Tour zur letzten ‘Nightlife’-Platte oder das gefloppte

Musical ‘Closer To Heaven’. Möglich, dass damit der Anstoß gegeben war, sich der uneingeschränkten Liebe zur Musik mittels

eines einmaligen Befreiungsaktes neu zu vergewissern. In Leipzigs proppevollem Haus Auensee präsentieren sich die Pet Shop

Boys ungewohnt unverstellt, ihre Bühnenshow ist entrümpelt vom theatralen Charme einer Laufsteg-Performance.



Anstatt ausgetüftelter Kostüme ist Alltagsschick angesagt, anstelle von Perücken und eimergroßen Hüten ziert Lowes Kopf ein

schlichtes Basecap, Tennant besticht mit dem Glanz einer Halbglatze. Der Blick ist frei auf die Dinge, wie sie sind. Auch die

neuen Lieder sind erlöst von der Last des klanglichen Bombast. Der Song ‘Home And Dry’, mit dem die Pet Shop Boys das Konzert

eröffnen, ist ein von Gitarre und Gesang getragenes Liebeslied. Zum ebenfalls aktuellen ‘I Get Along’, das die Entlassung des

Nordirland-Ministers Peter Mandelson durch Tony Blair verhandelt wird, hängt sich Neil Tennant die halbakustische Gitarre um,

in den Vordergrund quengelt sich indes sanfter, aber gut vernehmbarer Elektrosound im Stile des Britpop.



Vor einiger Zeit wäre der Klang einer Gitarre unvorstellbar gewesen im Universum der Pet Shop Boys. Neuerdings lässt sich das

Duo auf der Tour von den Gitarristen Bic Hayes (Ex-Dark Star) und Mark Refoy (Ex-Spiritualized) begleiten, für Kenner britischer

Popmusik keine Unbekannten. Geht es an die vom Discobeat rhythmisierten frühen Hits wie ‘West End Girls’ oder ‘Always On My Mind’,

spielen die Zwei fast ungehört vor sich hin. Ende der Achtziger kamen die Discobeats noch als billige Effekte von Chris Lowes

Keyboards, heute reist ein Programmierer mit, der über das exakte Herunterladen der Beats und Sounds vom Laptop aus wacht. So wird

die nostalgische Anwandlung freudig erregter Fans propper ins Jetzt transformiert.



Mit ‘Go West’, im Original von Village People, setzen dann der 47-jährige Neil Tennant, ehemaliger Redakteur eines Musikmagazins,

und Chris Lowe, 42 und ehemaliger Architekt, zum vorläufigen Showdown an. Als zurückgenommenes Stück Pop eingeführt, opfern sie

die Stadionkompatibilität der Hymne dem unnachgiebigen 4/4-Takt einer elektronisch erzeugten Bassdrum. Das gibt gewaltigen Groove

und stört das harmonische Gleichgewicht aus körperlicher Abfuhr und intelligentem Spaß, aus Disco und Lesekreis, welches die

Pet Shop Boys für ihr Schaffen gewahrt sehen wollen, empfindlich.

Taken from: Mitteldeutsche Zeitung
Interviewer: Oliver Seifert