Die Pet Shop Boys arbeiten jetzt im Vakuum

Die Pet Shop Boys sind keine Band mehr. Sie sind britisches Kulturerbe. Nun übergeben sie ihren akademischen Exegeten ein neues Album. Statt “Super” hätte es aber einen Zwei-Wort-Titel verdient.

Wie die kalifornische, auf statistische Erhebungen aller Art spezialisierte Onlineplattform Priceonomics.com durchgerechnet hat, ist die Länge von Popsongtiteln seit den 60ern von durchschnittlich 3,76 Worten mittlerweile auf eine Länge von 2,72 Worten geschrumpft. In den 90ern war die Länge mit 3,64 Worten noch relativ stabil, bis dann abrupt eine Neigung zur Kürze einsetzte.

Die Statistiker machen dafür vor allem das Internet verantwortlich. Weil der Endverbraucher dazu neigt, statt kompletter Alben lieber einzelne Songs zu laden oder zu streamen, haben Songs mit einem kurzen oder ganz kurzen Titel, der nur aus einem Wort besteht, den Vorteil, dass sie sich besser merken lassen. Diese Interpretation der Daten ergibt natürlich Sinn, aber tun wir doch einfach so, als gehe die Entwicklung auf die Pet Shop Boys zurück.

Seit das britische Popduo 1985 mit ihrer Single “Opportunities” reüssierte, macht es sich für Einworttitel stark. Man denke an Hits wie “Suburbia”, “Heart” oder “Rent”, selbst “West End Girls” oder “Domino Dancing” waren für ihre Zeit unterdurchschnittlich kurz. Was ihre Studioalben angeht, sind die Pet Shop Boys nie über die Einwortlänge hinausgegangen. Beginnend mit “Please”, erscheint jetzt 30 Jahre und eine Woche später ihr dreizehntes Album “Super”, wobei ihnen der potenzielle Marktvorteil, den der kurze Titel bringen mag, wohl einigermaßen gleichgültig ist.

Die Pet Shop Boys sind an einem Punkt ihrer Karriere angelangt, an dem Plattenverkäufe und Chartplatzierungen nur noch eine nachgeordnete Bedeutung haben. Inzwischen sind Neil Tennant, 61, und Chris Lowe, 56, Gegenstand akademischer Studien. Zum dreißigsten Jubiläum ihres Debüts wurde vergangene Woche in der Universität von Edinburgh ein zweitägiges Symposium abgehalten, bei dem unter anderem “Sehnsucht und Frustration im Frühwerk der Band” sowie “Der Pastiche von Disco und die Bedrohung durch Aids” diskutiert wurden.

Im Juli sind die Pet Shop Boys dazu eingeladen, das Royal Opera House in London viertägig zu bespielen. Was den Bereich Popmusik angeht, gelten die Pet Shop Boys heute als britisches Nationalerbe, was bedeutet, dass sie das leidige Tagesgeschäft nicht weiter kümmern muss. “Wir arbeiten inzwischen in einem Vakuum”, sagte ihr Keyboarder Chris Lowe. “Wir wissen, dass wir nicht mehr sooft im Radio gespielt werden, also können wir machen, was wir wollen.” Das sei durchaus befreiend.

Für “Super” haben sie die Freiheit genutzt, ein Album aufzunehmen, auf dem sie sich eine Weiterentwicklung einfach sparen. Falls der Titel sich auf den lateinischen Wortsinn “über etwas” bezieht, dann ist “Super” ein Pet-Shop-Boys-Album über die Pet Shop Boys, und zwar nicht im psychologischen Sinne, sondern im Hinblick auf ihr bisheriges Schaffen. Jeder der zwölf Songs hätte so auch auf einem anderen ihrer Alben veröffentlicht werden können. Alles, was die Band auszeichnet, ist vertreten.

Mit dem ersten Titel “Happiness” schließen sie nahtlos an das Vorgängeralbum “Electric” an, zitieren dabei den Großraumdiscosound von “Very” (1993) und “Nightlife” (1999). Sänger Neil Tennant singt darin, dass der Weg zum Glück weit sei, einem aber gar nichts anderes übrig bleibe, als irgendwie ans Ziel zu kommen. Dazu hat er sich eine Gesangsmelodie ausgedacht, die einen gewissen Country-&-Western-Moment hat, was aus dem Song eine Art Squaredance im House-Format werden lässt – was, den Tanzfiguren folgend, nebenbei bedeutet, dass der Weg zum Glück nicht immer geradlinig ist.

Liebe, Popmusik und Gassenhauer

 

In der wunderbaren ersten Single-Auskopplung “The Pop Kids” erzählt Tennant dann die Geschichte eines Freundes, der in den frühen 90ern von Birmingham nach London gezogen ist, um am King’s College Geschichte zu studieren, wo er sich in eine Biologiestudentin verliebt, die seine Liebe zur Musik teilt. “Sie nannten uns die Popkids / denn wir kannten die Pophits” heißt es darin übersetzt – und nach einer kurzen Pause fügt Tennant hinzu: “Ich liebte dich!”

In der Tradition von Pet-Shop-Boys-Gassenhauern wie “Hit Music” und “Vocal” handelt “The Pop Kids” natürlich auch davon, wie die Band sich einst in Pop verliebte. Ihre Liebe zur lateinamerikanischer Musik, der sie auf ihrem Album “Bilingual” von 1996 nachgingen, wird wiederum mit dem Titel “Twenty-something” belebt, bei dem es inhaltlich um so banale Dinge wie Smartphones, Start-ups und die angebliche Unmöglichkeit der Liebe in modernen Zeiten geht.

Wie auf ihrem skeptischen Album “Elysium” von 2012 mokiert sich Tennant in einem leicht altväterlichen Tonfall über das Leben von heute und schlägt anschließend mit “Groovy” in die gleiche Kerbe, indem er sich über die Celebritykultur lustig macht. Der Song ist eine Fortsetzung des Stückes “Ego Music”, das schon vor vier Jahren nur begrenzt amüsant war.

Kommentar zu Donald Trumps Wahlkampf in Songform

 

Zur Hochform laufen Tennant und Low dann aber in “The Dictator Decides” auf, ein Stück, in dem Tennant in die Perspektive eines amtsmüden Diktators schlüpft, der sich von seiner Rolle ebenso geknechtet fühlt wie sein Volk von ihm: “Wenn ihr es schafft mich loszuwerden, könnten wir alle frei sein.”

Obwohl Tennant beim Verfassen des Textes wahrscheinlich eher an einen waschechten Diktator vom Schlage eines Kim Jong-un dachte, lässt die letzte Strophe eine ganz andere Inspiration vermuten: “Der Witz ist, dass ich nicht einmal ein richtiger Demagoge bin/ Hast du je eine meiner Reden gehört?/ Die Fakten sind erfunden/ Wenn ich spreche, klinge ich irre/ So verblendet, dass man es kaum glaubt” – es ist, als hätten die Pet Shop Boys unbeabsichtigt einen Kommentar zu Donald Trumps Wahlkampf in Songform gebracht.

Das Interesse an Politik begleitet die Pet Shop Boys seit Beginn. 1990 veröffentlichten sie mit “My October Symphony” einen Song, der den beginnenden Zerfall der Sowjetunion zum Thema hat, 2006 ging es dann mit “I’m with Stupid” vielleicht nicht ganz so subtil um die Liebe des ehemaligen britischen Premierministers Tony Blair zum damaligen US-Präsidenten George W. Bush.

Es ist die Mischung aus Feingeist und radikaler Oberflächlichkeit, Ernst und Satire, Melancholie und Exzess, die über die Jahre hinweg den Reiz der Pet Shop Boys ausmacht, es ist ihr Mut auch bollernde Clubtracks wie “Pazzo!” und “Inner Sanctum” unter die Mischung zu heben, die den beiden trotz ihres fortgeschrittenen Alters gut stehen. So muss man sagen, dass das Album vielleicht nicht wirklich super geraten ist, aber dafür ziemlich gut. “Pretty Good” wäre als Titel also treffender gewesen, doch der kam natürlich schon deshalb nicht infrage, weil er leider ein Wort zu lang ist.

Aus: Die Welt
Von: Harald Peters