Die Größe hinterm Bumms

Ein besonderes Hör- und Gefühlserlebnis
ist das neue Album „Yes, Pet Shop Boys“




Dieses wunderbare Album stellt seine unüberhörbare Hässlichkeit so offensichtlich aus, dass man daran zweifeln muss. „Yes, Pet Shop Boys“ heißt die neue CD ebendieser beiden. Diesen Disco-Bumms hört man heute wohl nur noch in Absturzschuppen auf Mallorca, dazu kommen synthetisch nachgebaute Streicher und flirrende Raumschiff-Sounds aus der Urzeit des digitalen Tastenwesens.




Die Größe von Neil Tennant und Chris Lowe liegt auch darin, dass sie diese vorgestrige Ästhetik mit einer Gnadenlosigkeit weiterleben lassen, die fassungslos macht. Ein Album zur Hintergrundbeschallung. Das würden Tennant und Lowe gewiss als Kompliment auffassen. „I may be hard to take / but you can’t call me a fake / ’cause I’m vulnerable“, singt Tennant mit seiner geschlechtslos hohen Stimme, an der der Regen abperlt wie von einer Glasscheibe. Man darf sich auch bei diesem Album aufmachen und den Kunststoff Schicht um Schicht abtragen.




Vielschichtig




Auf der ersten Ebene kann man den Beat wegdenken, der alles in gleichförmige Bewegung versetzt. Dann beginnt man nicht nur in einem fast schwerelosen Stück wie „King of Rome“ die grazile melodiöse Gestaltung zu erkennen. Die synthetischen Sounds überziehen diese zwar wie Schleiflack, haben aber, anders gesehen, genau den verblüffenden Effekt, große Einfälle wie Fließbandmassenware erscheinen zu lassen.




Lebens-Liebes-Ungenügen wird auf der zweiten Ebene in Texten präsentiert, die die offensichtlichen, abgelebten Bilder nicht scheuen: „I can’t remember days of sun“. Wahlweise natürlich die ersten Zeilen des Albums: Es ist schwer, zu existieren wenn die Sonne nicht scheint und der Junge ein Mädchen braucht.




Ein Schutzraum vor dem Chaos




Langsam aber mogeln sich andere Bilder zwischen die offensichtlichen. In „Pandemonium“ wird das Zwischenmenschliche zur Hölle. Und schließlich tanzen Sterne und Sonne nach der Trommel des Geliebten.



Am Ende dieses Albums steht „Legacy“: Regierungen stürzen, Computer spionieren, Hochgeschwindigkeitszüge rasen durch Amerika. „You’ll get over it“, verspricht Neil Tennant. Und zieht den Hörer zurück vom Abgrund, in einen Sound, der so tut, als wäre nie etwas gewesen. Beim zweiten Hören des Albums ist seine glatte, wenn man will bruchlose Offensichtlichkeit, ein klinischer Schutzraum vor dem Chaos, das menschliche Emotionen einfach überfordert.

Taken from: Abendzeitung
Interviewer: Christian Jooß