Die Elder Statesmen des Pop werden modern

‘Yes’ zeigt die Pet Shop Boys auf ihrem Zenith




‘Frage bitte Neil Tennant, ob es bei ihm zum Frühstück immer noch Schwarztee und Special K gibt. Das stand damals in der Bravo.’ Freunde wollen manchmal eigenartige Dinge wissen. Aber das geht schon in Ordnung. Neil Tennant und Chris Lowe parlieren gerne – nicht nur über die Musik, sondern auch über s große Ganze, das bekanntlich auch die kleinen Dinge umfasst. Recht gewaltig hingegen ist ‘Yes’, ihr neues und zehntes Studioalbum, für das sich die Pet Shop Boys mit den Dancepop-Produzenten Xenomania zusammentaten. Was als geschriebene Nachricht irritierte – immerhin beklagten die beiden oft und gerne den Niedergang britischer Populärmusik -, funktioniert als Platte ganz ausgezeichnet. Dem muffig-zeigefingrigen ‘Fundamental’ folgt nun unerhört moderner, aber die Kernkompetenzen der Band bestens zusammenfassender Pop.




Neil Tennant sieht gut aus, wie er da so sitzt. Hemd, Pullunder, schöne Schühchen. Gute Haare, vor allem. Kurz und grau. Chris Lowe ist das mit dem Aussehen ja nicht so wichtig. Seine Zivilkleidung stammt aus der Bequem-Abteilung. Sweatshirt, Jeans. Das Übliche. Deshalb, so wird draußen im Korridor gemunkelt, dürfe man ihn nicht fotografieren. Niemals ohne Cap und Sonnenbrille, heißt es. Ein Spleen, der passt – auch im Interview gibt Lowe den verschrobenen Part. Tennant, so lässt es sich zusammenfassen, informiert. Er beantwortet die Fragen in genau der Ausführlichkeit, die ihm sein Gedächtnis eben erlaubt. Lowe ist für die kurzen, prägnanten Einwürfe zuständig, für Witze und gelegentliche Korrekturen.




Die Elder Statesmen des Pop und die Produzenten von Girls Aloud – wie ging das zusammen? Offenbar gut – vielleicht, weil Gegensätze sich bekanntermaßen anziehen. ‘Xenomania arbeiten komplett anders als wir, bei ihnen geht es eher um die richtigen Sounds als um diese klassischen Strophe-Refrain-Geschichten’, erklärt Tennant. Wichtig sei aber auch die richtige Atmosphäre gewesen: ‘Wir saßen in diesem Märchenhaus in der Nähe von Kent. Es gibt unfassbar viele Räume, in denen überall wahnsinnig talentierte Menschen arbeiten – da ist zum Beispiel einer von den Typen dabei, die früher THE KLF waren, aber auch einer, der viel mit Daft Punk arbeitet. Im Speicher, im Keller, in jedem der hundert Räume sitzen Menschen und sind kreativ.’ Die Kreativität hört man ‘Yes’ an, ebenso die eigenwillige Kombination aus Erfahrung und produktionstechnischer Weitsicht, die Xenomania ins Spiel brachten. Die Substanz, die sei indes die gleiche gewesen wie bei jeder Pet-Shop-Boys-Platte: ‘Wir mögen Stücke mit einer starken Melodie, das ist eben die Sache, worum es bei den Pet Shop Boys geht.’




Dass dabei die Substanz gerne mal übersehen wird, war ein Phänomen, das die letzte, textlich sehr bittere Platte ‘Fundamental’ mit Songs wie ‘The Sodom And Gomorrah Show’ oder ‘I m With Stupid’ routiniert aus dem Weg räumte. Vorher nahmen die meisten Hörer Lowe und Tennant wohl nur auf der musikalischen Ebene wahr. ‘Dabei haben wir in Songs wie ‘Opportunities’ oder ‘Suburbia’ durchaus etwas erzählt und erklärt. Schon bei ‘West End Girls’ gab es ja einen Inhalt. ‘Vermutlich sind wir die einzige Dancepop-Band, die Protestsongs schreibt’, sagt Tennant und lacht. So verwundert es nicht, dass auf ‘Yes’ zwar verschiedene Ansätze der Liebe durchdekliniert, Enttäuschungen und Abgrenzungshaltungen untersucht werden, aber auch der Zeitgeist nicht vergessen wird. ‘Love. etc.’, die erste Singleauskopplung, postuliert ‘Too much of everything is never enough’ – und wäre durchaus auch als Soundtrack zur Finanzkrise lesbar. Tennant muss abermals schmunzeln: ‘Es passt ganz gut, das ist wohl wahr. Aber wir haben das Lied schon vor einer ganzen Weile geschrieben, bevor alles zusammenbrach. Und: All das, was da momentan passiert, ist ja nur der Höhepunkt einer Entwicklung, die schon länger am Köcheln ist, und wir haben uns mit solchen Dingen schon immer befasst. Auf unserem Album Actually , das ja immerhin über 20 Jahre alt ist, finden sich einige Songs, die sich auch auf die Jetztzeit anwenden lassen.’




Die Sache mit dem Geld ist übrigens eine, die die Pet Shop Boys noch nie so wirklich interessierte – das wohl recht satte finanzielle Polster ist eben eine logische Konsequenz oben erwähnter Liebe zur Melodie. Hamstermentalitäten sind Tennant und Lowe dementsprechend fremd. Stattdessen gilt: Ihre Extravaganzen kosteten die Pet Shop Boys durchaus erhebliche Summen: ‘Mit unserem Soundtrack zu Eisensteins Battleship Potemkin haben wir keinerlei Geld verdient. Auf unserer ersten Tour versenkten wir 500.000 Pfund. Oder die Tour zu Performance , Anfang der 90er-Jahre. Das war wirklich eine Materialschlacht mit einem unfassbar komplizierten Set und sehr vielen Mitwirkenden. Damals hatten wir alleine zwei Leute, die sich um die Perücken gekümmert haben. Ich will gar nicht wissen, was das gekostet hat’, erklärt Lowe. Heute sei die Devise eine einfache: kein Geld mehr verlieren. Dass visuelle Völlerei dennoch eines ihrer Hobbies bleibt, zeigte der knapp zehnminütige Auftritt bei den diesjährigen Brit Awards. Da spielten sie sich durch ein gut zehnminütiges Hit-Medley – und holten sich dafür die Unterstützung von Chartstürmerin Lady Gaga und The-Killers-Sänger Brandon Flowers – Letzterer ist ohnehin großer Fan der Band, wie Neil Tennant erzählt: ‘Ich habe mich erst neulich mit ihm unterhalten, und er sagte, dass viele Journalisten der Meinung wären, Human wäre ein Song, der auch von uns sein könnte. Ich bin natürlich ganz und gar nicht dieser Meinung, was ihn fast ein bisschen zu enttäuschen schien.’




Tennant sagt s – und lobt Brandon Flowers und seine Songs. Mit Respekt, aber eben auch mit dieser typisch britischen Mischung aus Höflichkeit und Humor. Die kommt übrigens auch bei der Frühstücks-Frage zum Tragen. ‘Special K und schwarzen Tee? Wer hat das geschrieben? Ist diese Bravo heute hier?’ Dass sich die Teenager-Presse nicht mehr für ihn interessiert, führt zu plakativer Entrüstung, aber immerhin auch zu so etwas wie einer Antwort: ‘Ich glaube nicht, dass ich jemals Special K gefrühstückt habe, und meistens trinke ich grünen Tee. Die haben da etwas verwechselt.’

Taken from: videothek
Interviewer: unbekannt