Dialektisch montiert

Die Pet Shop Boys vertonten Sergej Eisensteins


Revolutionsfilm ‘Panzerkreuzer Potemkin’




Die Pet Shop Boys hatten schon immer eine besondere Beziehung zu Russland. In dem Song ‘My October Symphony’ besangen sie einst die Oktoberrevolution,

für ‘A Red Letter Day’ holten sie sich einen Moskauer Männergesangverein ins Studio und in dem Video zu ‘Go West’ ließen sie schwule russische Matrosen

paradieren. Daher lag es gewissermaßen auf der Hand, dass das Londoner Institute of Contemporary Arts sie darum bat, einen Soundtrack für Sergej Eisensteins

Revolutionsfilmklassiker ‘Panzerkreuzer Potemkin’ aus dem Jahr 1925 zu komponieren.



Etwas überraschender war es da schon, dass die Pet Shop Boys sich zu diesem Zweck ausgerechnet mit den Dresdner Sinfonikern zusammengetan haben. Doch da

Sänger Neil Tennant großen Gefallen an deren Album ‘Mein Herz brennt’ gefunden hatte, auf der die Sinfoniker unter Leitung von Komponist Thorsten Rasch

die einschlägigen Gassenhauer der Band Rammstein neu interpretierten, waren sie für die Pet Shop Boys die ersten Wahl. Wie man hört, soll die Zusammenarbeit

nicht ohne Komplikationen verlaufen sein – Raschs musikalische Vorstellungen gingen mitunter weit über den Horizont der Pet Shop Boys hinaus, – doch nach

einigem Hin und Her wurden Soundtrack und Film vor knapp einem Jahr auf dem Londoner Trafalgar Square präsentiert.



Am Sonntagabend war die Zusammenarbeit nun auf der Berliner Museumsinsel zu bestaunen. Eine Leinwand hing hoch über der Bühne, darunter hatten hinter

einen Gazevorhang die Sinfoniker und die Pet Shop Boys Platz. Nachdem der Schauspieler Matthias Schweighöfer aus dem Off ein erklärendes Intro gesprochen

hatte, hoben die Streicher dramatisch an, um die Zuschauerschaft für den doch etwas spröden Charme des Films zu begeistern, der von der Meuterei einer

Kriegsschiffbesatzung im Jahre 1905 erzählt.



Man weiß nicht, ob es die nautische Thematik automatisch mit sich bringt, aber immer, wenn man die Potemkin übers Wasser gleiten sah, erinnerte die Musik

doch erheblich an Klaus Doldingers Soundtrack zu ‘Das Boot’. Wenn es hingegen dramatischer zuging und die Matrosen gegen die Verhältnisse an Bord

rebellierten, setzen die Pet Shop Boys auf die suggestive Kraft von wenig elaborierten Dance Beats, die hier und da von einem Orchestertusch akzentuiert

wurden. Während Pet-Shop-Boys-Keyboarder Chris Lowe mit weißer Schirmmütze hinter mehreren Bildschirmen saß und so die Elektronik überwachte, trat Neil

Tennant manchmal auch ans Mikrofon und sang mit ätherischer Stimme, von Hunger, Ungerechtigkeit und Krieg. Mit ‘No Time For Tears’ bietet der Soundtrack

sogar einen voll funktionsfähigen Song – leider jedoch ist dieser nur von unterdurchschnittlicher Qualität.



Ohnehin dürfte der Mehrwert des Soundtrackprojekts in dem eher schlichten Umstand zu finden sein, dass Eisensteins Meisterwerk dadurch wieder im Gespräch

ist. Einerseits würden sich ohne die Pet Shop Boys vermutlich nur noch Filmwissenschaftler und Regiestudenten für den ‘Panzerkreuzer’ interessieren.

Andererseits machen Eisensteins Bilder den doch etwas pappigen Soundtrack überhaupt erst erträglich. Insofern kann man das Projekt als Ergebnis einer

dialektischen Montage betrachten, wie sie zweifelsohne in Eisensteins Sinn gewesen wäre.



Dummerweise wurde der Soundtrack aber für die alte Schnittfassung komponiert. Seit der letzten Berlinale ist eine neuere im Umlauf, die dem Originalschnitt

des tausendfach zensierten Films wohl deutlich näher kommen soll. Damals waren die Pet Shop Boys und Rasch aber schon mit dem Soundtrack fertig. Ihn noch

einmal neu zu arrangieren, wäre zu aufwendig gewesen. Dem Publikum schien es egal. Es applaudierte begeistert, weshalb die Pet Shop Boys und die Sinfoniker

den zentralen Song des Soundtracks schließlich ein weiteres Mal spielten.

Taken from: Berlin Online
Interviewer: Harald Peters