Der Mummenschanz der späten Jungs






Ihre Lichter sind so bunt wie Gummibärchen – Die Pet Shop Boys auf Tour in der Berliner Arena



Die Helden der Nacht sind älter geworden. Gemessen schreiten sie die Formation der Tänzer ab. Die Zyniker sind

milde heute Nacht. Es ist das große Glücksgefühl der eigenen Legende. Und diese Albernheit des Alters: Vier Gospelsänger

tanzen als Matrosen oder Bauarbeiter durch die Show.


Die Lichter sind so bunt wie Gummibärchen. Die Pet Shop Boys sind diesmal kostümiert mit Frack und blonden Punk-Perücken.

Ludwig van Rotten und Johnny Beethoven.



‘Schön, wieder zurück zu sein!’ Das ruft Neil Tennant in sein Mikrofon. ‘Wir werden Lieder singen über die Sünde, über

Sex und Geld.’ Chris Lowe steht reglos an den Tasten. Seit 15 Jahren machen sie auf diese Art Musik. Seit ‘Lost In Music’

von den Sister Sledge die Discos wieder besser machte und seit dem schönen Stück der ‘West End Girls’, bei dem in dieser

Schau der Vorhang fällt. So lange ist das her.



Es ist erst die vierte Tour der Pet Shop Boys in all den Jahren. Denn es war immer mehr als nur ein Popkonzert, als nur

die Butterfahrt für ihre letzte Platte. Vor zehn Jahren hat Derek Jarman ihren Auftritt inszeniert. 1991 war David Fielding

schuld an diesen meterhohen Kegeln auf dem Kopf. Und 1999 hat Zaha Hadid, die Architektin, die Bühne für ‘Nightlife’ gebaut.

Ein ‘Stairway To Heaven’ für postmoderne Disco-Helden.



Hier ergibt der Bombast Sinn. Ganz anders als beim Rock’n’Roll, der sich und seinen Fans die Größe zeigen muss. Das Bühnenbild

ist die Kulisse, und ihr Programm ist operettenhaft und farbenfroh. Das sind vertonte und gespielte Utopien: ‘And the music

plays forever’, jubelt Neil Tennant. Chris Lowe drückt sonderbare Töne aus der Kiste. Abstrakte Beats, künstliche Klänge und

eine Stimme, die sanft von seltsam schönen Sachen singt.



Das Leben ist banal und unergründlich. Auch deshalb ist es klug, die Oberfläche länger zu betrachten. Zwei Stunden dauert

dieses Spiel. ‘Being Boring’, singt Neil Tennant und lässt sich von der Bühne schlucken. Die Lichter strahlen ihre Aura um

die Köpfe. Und selbst das Kräuseln aus dem Trockeneis erscheint so formvollendet, als bliebe nichts dem Zufall überlassen.

Die Menschen in der Berliner Arena schwenken die Arme und tanzen dazu. Reifere Damen und stille Paare mittleren Alters, die

Schwulen und die Lesben. Die Pet Shop Boys vereinen alles, was den Pop als Pop verstehen will. Sie sind die letzten ihrer Art.



Dann ziehen sie sich um als junge Pet Shop Boys mit blütenweißem Mützenhemd. Dann kauern sie im Bühnenbild, und Tennant spielt

Gitarre, das Instrument des kulturellen Feindes. Dann singen sie mit Dusty Springfield im Duett. Die Tote auf der Videowand

als Deus ex Machina. Die Discostars, die über Vierzigjährigen, im Mummenschanz. Alles ist möglich: die Nummernrevue und das

schönste Popkonzert seit langer Zeit.

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