Dancefloor der Revolution

Pet Shop Boys kapern mit den Dresdner


Sinfonikern den ‘Panzerkreuzer Potemkin’




Wer bei den Pet Shop Boys musikalisch andockt, erwartet eigentlich dandyhaft aufgebrezelten Elektropop in einer schicken Londoner Lounge, wo das

Erschütterndste noch die Cocktailgläser sind. Keinesfalls aber stinkende Kajüten, verfaultes Fleisch, Schwielen, Blut, Schweiß und Tränen.



Deshalb ist es um so erstaunlicher, dass Neil Tennant und Chris Lowe zusammen mit den Dresdner Sinfonikern jetzt den ‘Panzerkreuzer Potemkin’ gekapert

haben – Sergej Eisensteins Jahrhundertfilm aus dem Jahre 1925, von dem das Regiegenie wollte, dass jede Generation ihren eigenen Soundtrack unter das

genialischen Agit-Prop-Drama lege. Dessen Wirkungen waren auch schon mit Edmund Meisels Originalvertonung beachtlich: In seinem Roman ‘Erfolg’ schreibt

Lion Feuchtwanger gegen Ende der Weimarer Republik, dass ein erzreaktionärer bayerischer Minister nach Ansicht des Werkes das Kino als Kommunist

verlassen habe.



Das war allerdings in Frankfurts bourgeois gesitteter Alter Oper nicht zu befürchten, in der das weiße Leinwandauge hoch über den Köpfen thront und sich

die Sinfoniker hinter blauem Gazeschleier einstimmen. Dann die wimmelnden Maden, Großaufnahme, es gärt an Deck, der Matrose Wakulintschuk, die Offiziere

des Zaren, Schnitt, Gegenschnitt, dialektisch fließend. Zum Stampfen der Schiffsmotoren werfen die Pet Shop Boys die Drum&Bass-Maschine an, es blubbert,

tuckert, rumpelt, schlägt, donnert. Geigen, ein Trompete, spielen sich in das mit Streichern eingedickte, rhythmisierte Gewebe, das sich wie ein

Perkussions-Blasen werfendes Sirupband an das Geschehen auf der Leinwand heranschlängelt, aufbläht, Risse zeigt, aber oft auch an Eisensteins meisterhaft

mathematischer Montage vorbeiläuft. Wenn das Exekutionskommando anrückt klingt es an Deck wie Dancefloor, und man erwartet eher Peter Pan als ein Blutbad

an Bord eines revolutionären Schlachtschiffs.



Das Gemetzel auf der Treppe von Odessa baut sich als bedrohliche, monoton vorangepeitsche Klangcollage auf. Dann aber singt Tennant so süßlich ätherisch

in die aufwühlenden Bilder, dass man zu einer Baccardi-Werbung umschalten will. Natürlich kann man versuchen, dem Pathos von Eisensteins Über-Film seine

kalkuliert propagandistische Wirkung zu rauben, indem man es mit tanzbaren Klassik-Pop-Salven beschießt. Die Bildersprache des Panzerkreuzers ist aber

auch nach 80 Jahren immer noch so stark, dass der gefällig synthetisierte Klangmix an den hochemotionalen Einstellungen einfach abprallt.



Und wenn Tennant am Ende dann ‘No Time for Tears’ säuselt, dann ist das höchstens ein laues Lüftchen, dass die mächtigen Schlote der ‘Potemkin’ rasch

am Horizont verwirbeln.

Taken from: Wiesbadener Kurier
Interviewer: Michael Jacobs