CDstarts.de Kritik






In den 80ern hatten die Herrschaften Neil Tennant, der anfangs Musikjournalist war und Chris Lowe, der eigentlich

als Architekt sein Leben bestreiten wollte, ihre ersten großen Erfolge mit den Single-Hits „West end girls“,

„It´s a sin“, „Always on my mind“ und den dazugehörigen Alben „Please“ (1986), „Actually“ (1987) und „Introspective“

(1988) und genau an diese Ära knüpft ihr neuestes Oeuvre „Fundamental“, das bis dato neunte Werk der Pet Shop Boys,

an. In Zeiten, wo der Krieg gegen den Terror und die unerschütterliche Suche nach Massenvernichtungswaffen vor

allem bei extremistischen und fundamentalistischen Gruppierungen praktiziert wird, veröffentlicht das 1981

gegründete Duo eine Platte, das mit dem Schriftzug des Albumtitels in greller Neonfarbe absichtlich provozieren

und kontrovers wirken soll.



„Ich mag es, so ein böses, grimmiges Wort auf dem Albumcover in Neonfarbe abzubilden. Das ist Showbiz!“ gibt der

51-jährige Tennant über die provokante, größtenteils in schwarz gehaltene Frontansicht von sich. Wäre das nicht

schon genug, wird als erste Auskoppelung der Track „I´m with stupid“ veröffentlicht, ein Song über die Beziehung

zwischen dem amerikanischen Präsidenten George W. Bush und dem englischen Premierminister Tony Blair. „Die Single

ist ein Liebeslied, sie handelt von einem Paar, bei dem sich die ganze Welt wundert, warum diese beiden zusammen

sind. Außerdem ist es eine Parodie auf die Beziehung zwischen Blair und Bush und zwar aus Blairs Perspektive.“

erklärt Tennant.



Um noch einen Schritt weiter zu gehen wird in „Casanova in hell“ über Erektionsprobleme gesungen, ein, wie die Pet

Shop Boys meinen, bislang ausgespartes Thema der zeitgenössischen populären Musik. Im Prinzip erregte allerdings

jüngst Pink mit ihrem auf „I´m not dead“ (März/2006) enthaltenen Song „Fingers“ das Aufsehen der Sittenpolizei, da

es darin unmissverständlich um Masturbation ging und der in alter Frische zurückgekehrte Barde Morrissey entdeckte

in „Dear god, please help me“ (auf „Ringleader of the tormentors“) recht freizügig unlängst seinen zweiten

Frühling. Alles gut gemeinte Argumente, die jedoch vom Duo sogleich mit blanker Ironie zu einer kleinen

Ausnahmeerscheinung abgetan werden: „Ursprünglich hatten wir noch eine Strophe übers Onanieren drin, die haben

wir aber rausgenommen, weil wir den Song während des Michael Jackson-Prozesses aufgenommen haben. Der Kerl kann

einem den Spaß an der Selbstbefriedigung vermiesen.“



Dennoch beginnt das gemeinsam mit Trevor Horn (Frankie goes to Hollywood, Paul McCartney, Seal, Rod Stewart,

T.A.T.U., Tina Turner) und den Pet Shop Boys produzierte „Fundamental“ entgegen dieser aufrührerischen Akzente

mit einem düsteren, holprigen Beat, der für einen recht zurückhaltenden Beginn namens „Psychological“ sorgt, bevor

es erst in „The Sodom and Gomorrah show“ richtig zur Sache geht, ist der Topos des Songs mit dem der biblischen

Geschichte schließlich nicht allzu weit entfernt. Mit einem überlangen Intro von etwa 2 Minuten wird „I made my

excuses and left“ eröffnet, das in weiterer Folge minimalistisch und balladesk vorgetragen die Erwartungshaltung

für „Minimal“ schürt, das wieder auf tanzbare und discotaugliche Untermalung setzt. Mit gebührendem

Streicher-Bombast wird im Anschluss daran der von Diane Warren geschrieben Song „Numb“ in Szene gesetzt, von dem

rund einminütigen „God willing“ abgestoppt, das in den hübsch verzierten „Luna Park“ überleitet.



Danach erklingen „I´m with stupid“ und „Casanova in hell“, die das letzte, gemächlichere und ruhige Viertel der

Platte einleiten. Mit einem bedrohlichen Basslauf ist „Twentieth century“ bestückt und „Indefinite leave to remain“

zeigt die zwei Briten von ihrer fragilen, mit Pathos angereicherten Seite, bevor der Hörer mit „Integral“ ein

letztes Mal auf die Tanzfläche gezerrt wird. Somit erhält das neunte Werk der Pet Shop Boys nicht nur einen äußerst

gelungenen Abschluss, sondern legt auch ein dementsprechendes Zeugnis darüber ab wie gut produzierte Pop-Musik

mit aussagekräftigen Texten zu klingen hat. Dass sich das Duo dabei nicht sehr von ihrem allseits bekannten

Klangkorpus entfernt hat wirkt dabei fast nebensächlich. Auf jeden Fall leuchtet das mit schwebender Eleganz

präsentierte „Fundamental“ nicht nur um zu provozieren, sondern um ein musikalisch hochwertiges Produkt

hervorzuheben.

Taken from: CDstarts.de
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