Berichte schweizer/österreichischer Zeitungen

Pet Shop Boys in der eiskalten Wiener Libro-Halle:


eine Erinnerung an den ironisch-affirmativen Pop der


achtziger Jahre.




Über ein Versteck alter Photos und Einladungen auf Teenager-Parties singt der Herr mit dem graumelierten Haar

unter der steilen gelben Perücke – und über die Inspiration und die Gnade der Jugend: ‘Wir waren niemals

langweilig, wir verkleideten uns, wir kämpften und dachten uns: Wir machen es wieder gut.’ Being Boring: Als er

diesen Song zum ersten Mal sang, war Neil Tennant zehn Jahre jünger. Und doch war es schon ein Rückblick – und

eine freundliche Parodie zugleich: auf Being Boiled von Human League. Das war 1977. Damit sind wir endlich in

einer guten alten Zeit angelangt, so wie’s die britische Popmusik liebt, spätestens seit Where Have All The Good

Times Gone von den Kinks (1966). Selbst das Wienerlied war nie so vergangenheitsselig wie der Britpop. Die in

alle Ewigkeiten erstarrte Jugend, festgehalten unter dem Blitzen des Stroboskops, in einer Discoteca, in der man

kein Wort versteht, aber glücklich ist, trotz vertaner Chancen. Blödsinnig glücklich. So ist das Leben:

Se a vida è. ‘Auch wenn wir die Welt mit verschiedenen Augen sehen, teilen wir doch die Vorstellung vom Paradies.’

Niemand hat je Banalitäten mit so sorgfältiger Liebe an ostinate Rhythmen angeschmiegt wie die Pet Shop Boys. Und

niemand schreit mit so gütiger Stimme ‘Achtung, Ironie!’ wie Neil Tennant. ‘Lieder über Liebe, Sex, Ruhm und Geld’

würden sie vortragen, meinte Tennant eingangs. Was sonst? Wie man diese vier Angelegenheiten auf einem gerade erst

‘befreiten’ Markt zusammenbringt, das war das Leitmotiv der Yuppie-Zeit, die uns heute so kindisch vorkommt in

ihrem frischen Glauben an das, was Madonna die Material World nannte.




Rückblick in Scham




‘I’ve got the brains, you’ve got the looks, let’s make lots of money!’ – natürlich waren es wieder die

Pet Shop Boys, die den perfekten Slogan dazu brachten, in einem Song mit dem hübschen Namen Opportunities. Wie

das Amen im Gebet ließen sie im Konzert darauf It’s A Sin folgen: schon wieder ein Rückblick, diesmal in Schmach

und Scham, diesmal aus dem Jahr 1987. Ob auch in ihrer Musik so deutlich die Jahreszahl steht? Ja. Man muß schon

sehr genau zuhören, um eine Entwicklung oder gar aktive Zuwendung zu neueren Trends zu konstatieren. Wie

lächerlich wäre es auch, diesen Disco-Pop mit Drum’n’Bass aufzurauhen! Die Pet Shop Boys haben nie wirklich in

die Welt der Clubs gefunden, sie sind in der Diskothek verblieben, dort, wo Plüsch noch Plüsch ist und Discokugel

noch Discokugel, wo die Irrwege der Verzweiflung noch direkt an die gut bestückte Bar führen. Es ist die große

Kunst ihres Elektronik-Meisters Chris Lowe, die ‘Atmo’, den schmeichelnden Mittelfrequenzen-Klangteppich des

Disco subtil zu variieren, hie und da ein kaltes Lüfterl, ein eisiges Zischen anzudeuten in diesem wohligen

Klima. Happiness is an Option – aber eben nicht die einzige. In jedem Jubel findet sich eine Spur Erbärmlichkeit,

in jeder Liebeserklärung ein Rest an Peinlichkeit. Und wenn alles im weißen Licht implodiert, ist das billiger

Zauber im dreifachen Sinn, wohlfeil, schäbig und angemessen zugleich. So wie die gesamte optische Inszenierung:

vier New York City Boys und eine Soul-Dame auf einer mehrstöckigen, teils abschüssigen Bühne, in einem abstrakten

Kostümtheater, das stellenweise zum Kabarett ausartete. In den Passagen, in denen Tennant die akustische Gitarre

schlug, war die Ironie zu dick aufgetragen, um noch zu brechen. Doch dann wieder diese maßlos auftrumpfenden,

kaltes Feuer speienden Arrangements! Niemals langweilig! Nicht, wie uns manche einreden, der Idealtyp des Pop,

aber eine wunderbar verkünstelte, manierierte Endform davon. Auch und besonders im Rückblick, in einer eisigen

Halle.




Quelle: DIE PRESSE 27.01.2000




Was wirklich zählt – Die Kunst des Zitats.


Die ‘Pet Shop Boys’ gastierten in der Wiener


‘Libro Music Hall’




Wien – Karl May sagt: ‘Winnetou wird die Töne seiner weißen Freunde nie vergessen. Er hat geschworen, von jetzt

an nie mehr den Skalp eines Weißen zu nehmen, denn die Weißen sind die Söhne des guten Manitou, der auch die

roten Männer liebt.’


So etwas nennt man ein eklektizistisches Zitat. Damit lassen sich erstens Zeilen schinden. Zweitens gilt es

gerade in der Kunst der modernen Musik längst als absolutes Muss, diesbezüglich eben auch ‘unoriginell’ zu

arbeiten. Eklektizismus bedeutet ja nichts anderes als eine (ursprünglich philosophische) Arbeitsweise, die

nichts Eigenes postuliert, sondern sich scheinbar wahllos aus verschiedenen Systemen und Epochen bedient – und

mit deren Versatzstücken arbeitet.


Damit jetzt der junge und eilige Mensch auch zu seinem Recht kommt: Heute nennt man das gemeinhin Sampling-Kunst.

Und: Was ist, wenn alle Recht haben und es tatsächlich nichts Neues mehr unter der Sonne zu finden gibt?


Die britischen Pet Shop Boys praktizieren diese zutiefst in den 80er-Jahren verhaftete, ‘postmoderne’, unter

Anführungszeichen gesetzte ‘Kunst des Zitats’ seit gut eineinhalb Jahrzehnten: ‘When you’re young you find

inspiration/ In anyone who’s ever gone.’ Und weiter: ‘We were never being boring/ We had too much time to find

for ourselves.’ Zu viel Zeit, gefüllt mit Ideen, die andere einmal gehabt haben.

Wie kaum ein anderer Produktname im Pop standen die Pet Shop Boys immer für eine Engführung alter

populärkultureller Inhalte. Saturday Night Forever. DJ Culture. Go West. Bis herauf zur aktuellen Single

New York City Boy galten und gelten die grundsätzlich mit süßlichem Säuselgesang, melancholischen Melodien und

wuchtigen Dancefloor-Beats dargebrachten Statements von Sänger Neil Tennant und Musikdirektor Chris Lowe immer

auch als zart-bittere bis erheblich ins Zynische kippende Betrachtungen der Zeitläufte.


Diese definieren sich dann eben nicht über eine in der Massenkultur längst verloren gegangene ‘Authentizität’. Die

Pet Shop Boys legen es vielmehr darauf an, sich selbst im bewusst naiven, deshalb also schon wieder zynischen

Sinn als Projektionsflächen für abstrakte ‘Lebensgefühle’ darzustellen, die sie widersinnigerweise gleichzeitig

auf sich selbst zurückwerfen. Die Pet Shop Boys als Zitatlexikon, das selig in sich selbst ruht, nach all den

Jahren nicht mehr hinaus zur Welt drängt. Weil es sich selbst genug ist.


Beim Konzert in der Wiener Libro Music Hall erstarrte dieser Arbeitsansatz im Rahmen ihrer erst zweiten

Live-Tournee innerhalb von 15 Jahren endgültig zur Pose. Auf der von der (auch so ein Wort)

‘dekonstruktivistischen’, aus dem Irak stammenden Architektin Zaha Hadid entworfenen, schräg gelegten und eben

auch als Projektionsfläche für Computer-Images und Videozuspielungen dienenden Bühne herrschte im Toben der

aufeinander prallenden Bonmots aus 50 Jahren Pop statische Ruhe.


Die im Sinne eines romantisch verklärten Futurismus agierenden und dementsprechend gestylten Künstler verkündeten

am Beginn, Songs spielen zu wollen, die dem Motto ‘Liebe, Sex, Geld und Erfolg’ folgen sollten. Nach

‘Greatest Hits’ wie Always On My Mind, West End Girls oder It’s A Sin blieb am Ende allerdings eine Gewissheit:

Die zitatenreiche Nachstellung von großen Gefühlen, um welche es ja im Pop schon auch geht, erzeugt keine eigenen

Gefühle. Soul ohne Seele. Trockenschwimmen, theoretisch abgesichert.




Quelle: DER STANDARD 27.01.2000




Hymnische Musik, lakonische Texte.


Die Pet Shop Boys in der Basler St.-Jakobs-Halle.




Vergessen sind körperliche Ertüchtigung, Kampf und Sieg, es herrscht dunkle Nacht in der weiten, biederen

Sporthalle St. Jakob. Arbeit und Leistung haben sich von der schieren Muskelkraft gelöst, um sich im technischen

System von Drähten, Halbleitern, Chips und Prozessoren zu verselbständigen – sichtbar, hörbar: Der Video-Beamer

zeichnet Stromstösse als grelles, flimmerndes Grün auf die hohe Leinwand, welche die Bühne vorerst verschleiert.

Die Batterien der Lautsprecher lassen gleichzeitig ein fernes Grollen vernehmen, unterbrochen durch tosende und

kratzende Störgeräusche.


Sowie sich die Farbschlieren aber zur Form verdichtet haben und zwei riesige, ausdruckslose Köpfe mit hoch

toupiertem, orangem Haar zeigen, ordnen die Boxen den Lärm zu pochendem Rhythmus und wogender Harmonie, welche,

unterstützt durch anschwellenden Chorgesang, in die triumphale Musik der Pet Shop Boys münden; man erkennt

«For Your Own Good», den ersten Titel der jüngsten CD, Nightlife. So kommt die dramatisch inszenierte Ouverture

ohne die menschlichen Protagonisten aus, und auch wenn der Schleier sich endlich hebt und den Blick freigibt auf

die beiden schwarz gewandeten, bleichen Popmusiker, die mit ihren gelben, hochtoupierten Perücken an Comicfiguren

erinnern, mag man sich zaudernd fragen, was hier gelebte Kunst ist und was digitale Künstlichkeit.


Neil Tennant trällert nun mit «West End Girls» den ersten grossen Hit des englischen Erfolgsduos ins Mikrophon,

Chris Lowe macht sich gleichzeitig hinter den Armaturen seines elektronischen Instrumentariums zu schaffen – wo

aber ist der Nexus zwischen der dünnen Stimme des Sängers, den sparsamen Handgriffen des Keyboarders und diesem

sinfonischen Bombast im hallenden Raum? Die Frage ist teils ästhetisches Programm, Tennant und Lowe stilisieren

sich als eine Art Gilbert und George der Popkultur selber zu artifiziellen Figuren: Menschen aus Fleisch und Blut

zwar, aber sozusagen lebendige Karikaturen, die in einer wuchtigen digitalen Bilder-und Klangwelt Gefahr laufen,

sich in subjektlose Marionetten zu verwandeln oder in reine Kunstprodukte.


Die Situation ist prekär, das deutet im Konzert auch das futuristische Bühnenbild der irakischen Architektin Zaha

Hadid an: Eine schmale Wand von zwanzig Metern Höhe, die dem Video-Beamer als Projektionsfläche für einen bunten

Bilderverschnitt dient, droht auf ein darunterliegendes geneigtes Podest zu kippen, das sich mit schrägen,

verschiebbaren Metallplatten auf die eigentliche Bühne stützt. Assoziationen an Schiffe oder Wellen werden

geweckt, die Architektur selbst scheint im Fluss. Damit sie die Balance nicht verlieren, lassen sich die

menschlichen Akteure durch klare, harte Beats dirigieren.


Die Musik der Pet Shop Boys – das beweist ihr neustes Album ebenso wie der Live-Auftritt – ist dadurch geprägt,

dass sie den gegenwärtigen Sound der Klubs, die geradlinigen, paukenden und feiernden Tracks ohne Herkunft und

Destination, an die alten Formen des erzählenden Songs binden. Rhythmisch orientieren sie sich dabei durchwegs an

der Ästhetik tiefer, stampfender Viertel, gehauen durch die virtuelle Bass-Drum oder den Bass, und klirrender

Cymbals, die mehr oder weniger federnd die Achtel oder Sechzehntel realisieren. Auch wenn ein Perkussionist das

rhythmische Gefüge etwas aufzulockern vermag, sind die Grooves stereotyp; sie unterscheiden sich allenfalls durch

einen Knopfdruck auf der Rhythmusmaschine. Über das perkussive Gerüst werden sodann üppige Akkorde ausgegossen,

welche zumeist in sinfonischem Klang und angereichert mit elektronischem Fiepsen, Pfeifen und Flöten durch ebenso

einfache wie wuchtige Harmonien brausen.


Neil Tennant hat zu Beginn des Konzerts ein Programm aus Titeln der fünfzehnjährigen Karriere der Pet Shop Boys

versprochen: «Stücke über Liebe, Sex, Geld und Erfolg». Wie zu erwarten war, legen sie den Schwerpunkt zunächst

zwar auf das letzte Album Nightlife, nach einer kurzen Pause aber geben sie im zweiten Set all jene Titel zum

besten, die sie berühmt gemacht haben und welche die etwa dreitausend Zuhörer in der halbvollen St.-Jakobs-Halle

erwarten: «Always On My Mind» zum Beispiel und «What Have I Done To Deserve This» – «It’s A Sin» –

«New York City Boy», bis der Abend schliesslich in «Go West» kulminiert. Aber ob alt oder neu, scheint musikalisch

kaum von Bedeutung, die Arrangements gleichen sich, frühe wie neue Songs werden in die Klischees aus Techno,

Trance und House gepackt. Es erstaunt deshalb nicht, dass es der ohnehin unterkühlten Show an Spannung und

Dramatik mangelt, die Stimmung hält sich in Grenzen. Der erste Song schon hat die Klimax erreicht, bis zum

letzten strapazieren die Engländer dann Hymnus und Euphorie.


Die einfachen Melodien, die das Pop-Duo in seinem Repertoire führt, sind zumeist dem Gassenhauer abgehört –

geläutert von Schweiss und Tränen, von Tran und Mief, stehen sie für den spielerischen, hygienischen Pop, der die

Pet Shop Boys charakterisiert. Je üppiger jedoch der Sound, desto lakonischer die Texte. Entweder handeln sie

ironisch von Sex-, Erfolgs-und Geldgier, oder sie berichten von prekären Liebesbeziehungen. Tennant interpretiert

die Songs zumeist mit hallender Kopfstimme, der Brustton geht ihm ab, wohl weil dem aufgeklärten Stadtneurotiker

Glauben und Überzeugung abhanden gekommen sind. Für ein bisschen Soul sorgen immerhin die Backing-Vocals der

schwarzen Sängerin und ein Quartett aus afroamerikanischen New-York-City-Boys.

Taken from: schweizer und österreichischer Zeitungen
Interviewer: